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Bundesliga im Jahr 2030: Die Legende von 15.30 Uhr

Poppe wieder! Vor wenigen Wochen schrieb Thomas Poppe ein starkes Stimmungsstück über den Wandel des Profifußballs. Wie aus dem einfachen Gebolze seiner Kindheit der Stylo-Sport mit bunten Schuhen und Frisuren wurde. Jetzt legt unser Autor nach. Thema diesmal: Die Zerstückelung des Spieltags. 


Es ist 1996, der kleine Thomas ist 15 und freut sich. Auf das Topspiel – daheim? Nein, das Budget war klein. Na fein, herein, willkommen im Vereinsheim…

Wir schreiben das Jahr 2030. Aus mir, dem 15-jährigen Thomas von 1996 ist ein Endvierziger geworden, der dem Profi-Fußball längst entsagt hat. Mein Sohn, gerade auch 15 Jahre alt, fragt mich, wie das denn früher mit Fußball im Fernsehen war. Wir hatten ja damals noch nicht das ganze coole Zeug von heute. Ich hole mein längst überholtes iPhone 15 aus der Tasche und starte die „Opaseite“ Youtube. Wir schauen das Saisonfinale von 1999 und die Rettung der Eintracht, 2000 mit dem Eigentor von Ballack, 2001 mit dem erneuten späten Titel der Bayern, 2007 mit der VfB-Meisterschaft. Es fühlt sich an, wie die Schallplatten von meinem Papa zu hören.

Und mein Sohn sagt: „Wie, die haben alle gleichzeitig gespielt?“

Und dann fange ich an zu erzählen: „Ja, eigentlich war das mal ganz normal, dass alle Bundesligaspiele am Samstagnachmittag stattfinden. Als die Bundesliga 1963 gegründet wurde, spielten alle noch am Samstag um 17 Uhr. Dann gab es Einwände aus der Bevölkerung: Wenn der Mann ins Stadion geht, wird es für den Abend im Theater mit der Dame eng und Ärger droht. Und die Spieler beschwerten sich über die einbrechende Dunkelheit und aus 17 Uhr wurde erst 16 Uhr, ab 1967 dann 15:30 und der Kult war geboren.

So war das dann lang in Ordnung. 1991 fing Premiere an um 15:30 Uhr ein Topspiel der Woche live zu zeigen. Bis dahin hatte man Radio gehört oder Videotext geschaut und wer ohne Spoiler die Sportschau oder das Sportstudio sehen wollte, der schaffte das damals in 99% der Fälle ohne Probleme. Man traf sich im Sportheim oder der Eckkneipe, schaute gemeinsam, weil die Gaststätte damals noch nicht jeden Quadratmeter Klo auf die Nutzungsfläche berechnet bekamen und die Spiele zeigen konnte, ohne die Insolvenz zu riskieren.

Anfang 2000 gab es dann ersten Stress, weil der Chef von Premiere weniger Kohle als die bisherigen 145 Millionen zahlen wollte. Ein Sonntagsspiel gab es ohnehin schon. Das zusätzliche Freitagsspiel – zuvor schon mal getestet und als unsexy für den Fan empfunden – sollte als Kompromiss her. Zum ersten Mal war Kohle ganz offensichtlich wichtiger als Fans. So ging es los mit dem Scheibchenspieltag, der irgendwann normal war. Nach der WM 2006 boomte die Liga mit den vielen geilen Stadien, die ständig voll waren. Während die Bayern vorher teilweise vor 20.000 Menschen kickten, musste man jetzt schon über teure Umwege oder Mitgliedschaften an Tickets kommen. Anstoßzeiten waren nicht mehr ganz so wichtig – die Hütte wurde so oder so voll. Und so kam dann auch noch das Topspiel am Samstagabend und die zweite Anstoßzeit am Sonntag.

Aus neun Spielen um 15:30 Uhr wurden fünf Portionen Fußball, die schon längst nur noch die Junkies komplett konsumierten.

Aber andere Ligen gingen längst weiter. In England bekamen die 20 Teams der Premiere League 2016 schon 6,9 Milliarden. Die 36 Team aus der 1. und 2. Liga hinkten mit 2,45 Milliarden hinterher. Da half dann auch der WM-Titel und Zuschauerrekorde nichts – man musste mithalten um jeden Preis. Heute weiß man, dass das der Anfang vom Ende dieses schönen Spiels auf Profi-Ebene war. Nach spanischem Vorbild bekam schließlich jedes Spiel seine eigene Anstoßzeit. Die Sponsoringbeträge wurden immer gewaltiger, die Extra-Wünsche der Geldgeber immer extravaganter und das Interesse des normalen Zuschauers nahm immer mehr ab.

Kaum jemand wollte den 14. gegen den 9. an einem Montagabend sehen. Als mehr und mehr Retortenteams in die Liga stürmten und immer weniger Fans in die Stadien kamen, machte man aus der Not eine Vermarktungstugend. Die Bayern spielten während des Oktoberfestes gleich sieben Heimspiele, weil man das Paket „Allianz Arena und Wiesn“ super an Japaner und Australier verkaufen konnte. In Hamburg wurde der HSV zum Ziel von Kreuzfahrern, als dieser 2020 nach drei Jahren zurück in die Bundesliga aufstieg. Da wurde dann auch mal zwei Stunden auf die verspätete AIDAgoal gewartet, ehe der Ball rollte.

Das mit den vielen Spielen im Ausland kam dann Schritt für Schritt. Man wollte dem Markt gerecht werden und auch den stinknormalen Millionären die Chance bieten, ein Fußball-Wochenende live zu erleben.

Der 1. Spieltag in New York, der 2. in Tokio – das war nicht immer so.

Als sich Milliardäre plötzlich selbst Spiele kauften und damit auch über die Weitervermarktung entscheiden konnten, habe ich aufgehört, Fußballspiele zu verfolgen. Vom 5:4-Sieg der Underdogs aus München gegen die Übermacht aus Leipzig aus dem Jahr 2025 sind ja bis heute noch keine Bilder aufgetaucht, weil der Brauseboss auf seiner Privatinsel spielen ließ und exklusiv mit seinem Handy und 22 GoPros filmte. Gästeblöcke der Stadien wurden schon 2022 mangels Interesse abgeschafft. Richtige Fan-Gruppierungen der Topvereine gab es da längst nicht mehr. Die wanderten alle zu ihren Dorfvereinen ab. Wenigstens ein schöner Nebeneffekt des ganzen Dramas.“

Mein Sohn hört sich das alles an, ein wenig fasziniert, ein wenig irritiert. Für ihn ist Profi-Fußball längst zu einer Reality-Soap geworden. Er kennt es nicht anders. Das Spiel selbst ist zwar noch interessant, aber das Drumherum ist seiner Generation viel wichtiger. Welcher Spieler trägt welche Schuhe, hat welche Frisur und welche Spielerfrau. Wenn er normalen Fußball sehen will, geht er mit mir auf den Sportplatz im Dorf, wo ehrlicher Kreisklassen-Fußball gespielt wird. Vom Spiel selbst bekommt er dann aber nur die Hälfte mit – irgendwas von der Bundesliga oder den anderen Gelddruck-Maschinen in Europa läuft ja immer live auf dem Handy.


Von Thomas Poppe
(Hat auch einen Twitter-Account, tummelt sich im Jahr 2030 aber vermutlich eher auf Snapchat, d. Red.)