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Ein Abschiedsbrief: „Mein Fußball ist tot – und das ist ok so!“

Irgendwann sind wir alle ein Haufen von Leuten geworden, die den Fußball nicht mehr so gut finden, wie er früher mal war. Ein Bus voller Leute, die nicht mehr aufhören können zu klagen, aber gleichzeitig doch alles mitnehmen, was die achtzehn Anbieter senden oder streamen. Ein Haufen Jammerlappen, die einer Zeit hinterher trauern, deren Verfallsdatum noch im alten Millenium überschritten war – immer im Glauben, es wäre viel besser, wenn es wäre, wie es mal war. „Warum eigentlich!?“ fragt unser Head of Humor Thomas Poppe und schreibt einen trauerfreien Abschiedsbrief an den für ihn perfekten Fußball.


Ich denke es war 2002, als ich im Colos-Saal in Aschaffenburg stand und das erste Mal Fettes Brot live sah. Ein super kleiner Laden, eine Band, die gerade an der Schwelle zum großen Durchbruch stand und nur Leute in der Bude, die nicht „wegen dem einen Hit“ da waren und den Rest der Songs nicht kannte. Die drei Jungs aus Hamburg habe ich danach noch mehrfach live erleben dürfen. Die Hallen wurden größer, die Charthits in der Playlist mehr und plötzlich waren da unzählige Leute, die „Jein“ nicht mehr mitsingen konnten, aber zu „Emanuela“ steil gingen. Es war immer ok, aber nie mehr der überragende Gig in dem kleinen unterfränkischen Musik-Perle. Warum ich euch das erzähle? Weil es mir mit dem Fußball mittlerweile genauso geht. Ein Nachruf ohne Wehmut.

„Mein Fußball“, das war vor allem erst mal selbst kicken. Und dann irgendwie Wege finden, die Ergebnisse der Bundesliga mitzubekommen. Radio im Auto, zu Zeiten, als man mit einem Drehregler den Sender finden musste. Zuhause wurde einfach auch mal 2×45 Minuten auf den Videotext gestarrt und wenn man ganz viel Glück hatte, konnte man sogar ungespoilert die Sportschau gucken. Später kam Premiere, das Topspiel der Woche, Pommes mit Ketchup und zwei Fanta im komplett gefüllten Sportheim, unten am Bildschirm das Laufband, welches die Tore aus den anderen Stadien anzeigte. Wenn ich nicht hin durfte, schaute ich das Spiel verschlüsselt zu Hause. Man redete sich ein, man könne es doch erkennen, man hoffte während der unverschlüsselten Vorberichte, der Mitarbeiter würde es heute vergessen umzustellen und am Ende sah in der Sportschau alles komplett anders aus. Pokalspiele und Europacup im Free-TV waren das Größte – spätestens im Rückspiel oder in der KO-Phase. Wie oft ich aufs Klo gegangen bin, weil ich – im Kinderzimmer im Bett liegend – im Radio von „einer guten Freistoßmöglichkeit“ gehört hatte, um im Vorbeigehen am Wohnzimmer der Eltern das Livebild zu erhaschen. Das Europapokalfinale meiner Bayern gegen Porto durfte ich schauen. Als ich „mich schon mal für das Bett fertigmachen und Zähne putzen gehen“ sollte, ging ich bei 1:0 und kam bei 1:2 zurück.

In der Winterpause war Hallenpokal und dort kickte nicht die A-Jugend, sondern die großen Stars. Frisch zurück von der schweren Knieverletzung, wurde dann erst mal auf Kunstrasen die Grätsche ausgepackt. Stunden lang DSF. Transfergerüchte aus Südamerika waren mystische Ankündigungen. Immer die Hoffnung auf den nächsten Maradona, immer die Angst vor dem nächsten Mazinho. Auch für die Funktionäre übrigens, die selbst maximal eine VHS-Kassette mit miesen Videosnipptes hatten. Ausländische Ligen sah man mit viel Glück mal kurz in der Sportschau, ansonsten blieb nur die Sport Bild und der Kicker. Umso krasser war es dann, die Leute aus den Torjägerlisten im Ausland bei Länderspielen endlich live sehen zu dürfen. Deutsche im Ausland waren automatisch Nationalspieler und EM- und WM-Turniere ein gigantisches Happening der vielen Unbekannten und Exoten. Neue Trikots gab es alle zwei Jahre und sie waren bezahlbar. Wenn man Autogramme seiner Stars wollte, schreib man den Verein an und bekam kostenlos einen kompletten Satz geschickt. Tickets für Bundesligaspiele waren nie ein Problem und im Sportstudio flogen noch so richtig die Fetzen. Achso ja – und Meister konnte gefühlt jeder werden. Sogar der Aufsteiger.

War alles perfekt? Um Gottes Willen, nein! Der Fußball war teilweise schrecklich, im Stadion machten Besucher Affengeräusche, wenn dunkelhäutige Spieler am Ball waren und diese kurzen Hosen. Alter! Aber ich habe den Fußball schon geliebt, als er noch in ganz kleinen Clubs aufgetreten ist. Von damals ist so wenig übrig. Jeder mittelmäßige Kicker aus der 5. Liga in Nicaragua hat Highligh-Videos bei Youtube. Selbst die gefälschten Trikots im Bulgarien-Urlaub kosten heute fast schon so viel, wie die echten Dinger damals. Ein Transfer für 10 Million ist ein Schnapper geworden, überall läuft gerade irgendwo ein Fußballspiel und wenn es keine Rechte gibt, gibt es immer noch Youtube und Konsorten. Während wir früher von einem Skandal in der übernächsten Sport Bild erfahren haben, ist heute der Furz noch nicht richtig verduftet, steht aber schon im Netz. Stars sind gefühlt so unfassbar nahbar, aber eigentlich viel weiter weg vom Fan denn je. Die Clubs sind größer geworden, die Playlist ist voll mit stark produzierten Erfolgskrachern.

Ich habe mittlerweile den Vergleich. Und zwar den ganz frühen. Mein Sohn und seine Kumpel schauen Fußball anders als wir. Sie kennen Zlatan und Ronaldo, wissen die Namen der Haustiere von Haaland und Sancho und ob Thomas Müller gegen Mats Hummels in der ThoMats-Challenge gewonnen hat. Wenn man sie fragt, wer gerade in der Tabelle auf 1-4 steht, zucken sie mit den Schultern. Fußball ist für sie überall. Nicht nur das Spiel, vor allem die Spieler. Frisuren, Schuhe, Trikots, Tricks, FIFA, Interviews, Youtube. Während wir früher nicht mal mitbekommen haben, wenn Ansgar Brinkmann sich einen Clown gemietet und mit ihm im Cabrio auf dem Rücksitz durch die Stadt gefahren ist, weiß man heute problemlos, welche Müsli-Sorte der Linksverteidiger eines Drittligisten bevorzugt. Worauf noch hin fiebern, wenn immer was da ist? Natürlich haben sie eigene Teams und drücken die Daumen. Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel und zwar schon sehr bald. Fußball ohne Highligh-Videos aus 26 Ligen, ohne VAR und drei neue Trikots pro Spielzeit? Undenkbar für sie.

Bin ich traurig, dass das alles nicht mehr „Mein Fußball“ ist? Im Gegenteil. „Mein Fußball“ würde heute nicht mehr funktionieren. „Mein Fußball“ hat sich nicht nur wegen des Wandels der Vereine verändert, sondern auch, wegen des Wandels der Gesellschaft. „Mein Fußball“ ist erwachsen geworden. Wie ich. Nur ist er irgendwo anders abgebogen und winkt nur noch aus der Ferne. „Mein Fußball“ hatte drei oder vier Hits in den Charts und jetzt ganz viel Fans, die genau wegen dieser Hits zu diesem Spiel gekommen sind. „Mein Fußball“ ist eine Erinnerung, die so nie wieder kommt, aber auch in 40 Jahren noch für wunderschöne Flashbacks in meinem Kopf sorgen wird. Der Fußball wird sich immer wandeln. Irgendwer wird ihn dann besser und irgendwer schlechter finden. Das Konzert im kleinen Club ist vorbei. Mein Fußball ist tot. Und das ist ok so.


Von Thomas Poppe
(Die kleine unterfränkische Perle von FUMS, Anm. d. Red.)

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  1. Unvergessen….Sonnntag 22:00-22:30 im HR…."Aus Frankfurt Sport" Sportberichte vom Wochenende… Da wurde jedes Spiel nochmal durchgegangen z.T. Mit den original Kommentaren….."Hören wir nochmal rein in den Bericht von Klaus Töpperwien 36. min 1.FC Köln gegen den Club aus Nürnberg"…..das waren nö h Zeiten….

  2. Mir, Jahrgang 1980, aus der Seele gesprochen. Danke. Außer ab und an Konferenz – ja, keiner weiß wieso ich noch Sky habe, vielleicht weil ich früher immer davon träume als ich am Radio saß und gebannt den Stimmen aus den Stadien lauschte – und immer öfter erst am nächsten Morgen nachlesen wer wie gespielt hat – ist der Fußball tot bei mir. Leider.

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