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Sané-Vorstellung: Der Zirkus war in der Stadt

Der Zirkus war in der Stadt. In München. Zumindest schien es so, als gestern Leroy Sané beim Rekordmeister offiziell vorgestellt wurde und sein erstes Exklusiv-Interview gab. Befremdlich, findet unsere Bayern-Nase Thomas Poppe, der solche Reporterglanzleistungen zuletzt 1996 in der Bravo Sport gelesen hatte.


Manche Dinge waren mal vom Prinzip her eine gute Erfindung und wurden dann für echt miese Dinge missbraucht. Die Spaltung von Atomen zum Beispiel, bis jemand auf die beschissene Idee kam, eine heftige Bombe daraus zu bauen. Oder die Push-Nachricht. Irgendwer kam mal auf die Idee, diese Dinger auch für maximal unwichtige News und Themen zu nutzen. Irgendwer hat dann mal gesagt: „Also wenn die das machen, dann machen wir das auch!“ Und irgendwann wurde plötzlich nicht nur der Wechsel von CR7 zu Juve als Top-Info gepushed, sondern auch der Wechsel der CR7-Frisur. Gestern kam dann das digitale Fukushima: Die Vorstellung von Leroy Sané beim FC Bayern als Push-Nachricht.

Bayern ist rot, 1860 nicht,
die Vorstellung von Sané bekommt ne Push-Nachricht.

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Immerhin: Aus den vielen kritischen Fragen wurden dann auch Artikel gebaut, gegen die Football Leaks nur noch seichter Journalismus ist. Kalle Rummenigge erzählt zum Beispiel, wie schnell Sané im Training war, obwohl Sané überhaupt nicht beim Training war. Hat der Kalle einfach mal Zirkzee mit dem neuen Flügelflitzer verwechselt. Voll witzig, oder? Achso – und der Joshua hat ständig genervt, wann Leroy endlich kommt. Heftige Insights. Außerdem wurde dann auch wenigstens mal nicht nach Schema F über den Neuzugang geschwärmt.

Er kann nämlich den Unterschied machen, ist schnell, hat Zug zum Tor, war ein absoluter Wunschspieler, wurde sehr gut aufgenommen, will die Champions League gewinnen und der FC Bayern wird natürlich noch viel Freude an ihm haben. Und jetzt kommt es: Ist ok für Leroy, wenn Leute Sahne statt Sané sagen. Wie viel kann man sagen ohne etwas zu sagen? Philipp Lahm muss stolz sein!

Christian Falk durfte als erster Reporter nach dem Wechsel mit Sané ein Einzelinterview führen. Er hatte vorher immer wieder unter den Twitter-Postings des 24-Jährigen an sein Versprechen diesbezüglich erinnert. Entsprechend kumpelhaft ging es dann auch zu, als der von Springer und der Sprinter sich dann trafen. Selfie statt Sachlichkeit, Abkulten aller Beteiligten. Sané packt im Gespräch natürlich aus. Ob es seinen Reisekoffer war, steht da allerdings nicht. Leroy erzählt, wie schön es bei Hoeneß am Tegernsee ist, wie sehr die Bayern ihn wollten, weil sie Werner nicht wollten, wie viel Verantwortung hinter der Nummer 10 steht. Immerhin, die Fotos sind toll. Hochglanz. Insta-Qualität. Eine Stunde Zeit hat er sich genommen. So locker, so sympathisch war er. Super Kerl, Superstar.

Vielleicht liegt es daran, dass Leroy Sané genauso alt ist wie „Jein“ von Fettes Brot und ich den Song damals schon mit 15 Jahren gehört habe. Nicht nur der Fußball hat sich verändert, sondern auch die Berichterstattung rund herum. Teams haben eigene Kanäle, sind auf die Multiplikatoren der Medien kaum noch angewiesen. So werden die Artikel immer mehr zur Hofberichterstattung, zu PR-Journalismus und Content, der von den zwei guten Zeilen als Headline lebt, die man den Vereinen und Spielern dann doch aus den Rippen leiern konnte. Kritische Frage? Dann geht doch zu netto! Am Beispiel von Leroy Sané zeigt sich, wie sehr die Vereine die Medien mittlerweile an den Eiern haben und wie demütig die das Spiel mitspielen. Es fühlt sich an, als hätte der Reporter der Schülerzeitung der St. Martin-Schule Giesing eine Audienz beim Papst bekommen. „Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?“ im Falle von solchen Reportage hätte sogar Fettes Brot nicht „Jein!“, sondern „Auf keinen Fall, Digga!“ gesungen.


Von Thomas Poppe
(abhängig, seit er bei FUMS arbeitet, Anm. d. Red.)