Reservemannschaften aus dem Profifußball verbannen!
„Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung.“ Dass die Worte Oscar Wildes sich nicht besonders gut als Lebensmotto eignen, stellte FUMS-Sommertransfer Ole-Jonathan Gömmel das erste Mal fest, als er sich mit 12 Jahren die Friese von David Beckham selbst schneiden wollte. Nach Kritik von Eltern, Freunden und seinem Fußballtrainer war ihm klar: Einmal machen – draus lernen – und nie wieder. Die Bundesligisten zeigten jene Lernbereitschaft bislang nicht, was das Thema Reservemannschaften betrifft. Seit Jahren existieren sie als unterklassige Nachahmer ihrer Namensgeber, belegen Ligaplätze im deutschen Profigeschäft, verwässern den Wettbewerb und nerven damit all jene Vereine, die jedes Jahr um ihre Existenz kämpfen müssen. Nun fordern erste Vereinsverantwortliche, dass zweite Mannschaften bei sportlichem Erfolg auch in der 2. Liga antreten könnten. Nur eine selbst geschnittene Beckham-Frisur ist eine noch beschissenere Idee – findet unser mittlerweile „ok“-frisierter Ole-Jonathan Gömmel.
Trotz Zuschauerverbot ist das Stadion an der Grünwalder Straße am 1. Juli 2020 in Aufruhe. Im Fokus stehen jedoch nicht die Löwen, sondern die Stadtrivalen von der Säbener Straße. Am vorletzten Spieltag der Drittligasaison 19/20 liefert sich die zweite Mannschaft des FC Bayern München einen erbitterten Kampf gegen den MSV Duisburg. Es geht um entscheidende Punkte im Kampf um die vorderen Plätze in der 3. Liga. Kurz vor Schluss liegt der Pott-Klub mit einem Tor vorn.
Als Bayern-Stürmer Leon Dajaku in Minute 92 der Ball vor die Füße fällt, überlegt er nicht lange. Drei kurze Ballberührungen vom Mann, der mit seinen 2,3 Millionen Euro einen höheren Marktwert als sieben Duisburger Start-Elf Spieler zusammen hat – dann ein satter Vollspanschuss. Aus zentraler Position überwindet er MSV-Keeper Leo Weinkauf und trifft zum 2:2 Endstand. Ein Tor mit Folgen: Die Münchener werden am letzten Spieltag die Drittligameisterschaft feiern, der MSV Duisburg wird trotz eines Sieges nicht in die 2. Liga aufsteigen.
„Drei deutsche Profiligen und zweimal heißt der Meister Bayern München. Klasse. Super. Wow. Bei so vielen Weißbierduschen kommt Paulaner bestimmt nicht mit dem Brauen hinterher.“
Trotz Ligaplatz 1 dürfen sich die Baby-Bayern allerdings nicht über den Aufstieg freuen. Eine DFL-Regel, laut der nur eine Mannschaft eines Lizenznehmers in den zwei höchsten deutschen Spielklassen antreten darf, greift. Deshalb müssen sie sich auch in den kommenden Spielzeiten mit dem Punkteklau bei Drittligisten begnügen.
Unfair, findet Bayern München Präsident Herbert Hainer. In einem Interview, das im Klubmagazin „51“ publiziert wurde, fragt er sich zwei Wochen nach der Drittligameisterschaft: „Es ist verständlich, dass nicht zwei Mannschaften von einem Klub in einer Liga spielen dürfen. Aber beispielsweise in Liga eins und zwei – warum denn nicht?“ Bei dieser Aussage dürfte den meisten Fans von Dritt- und Zweitligaklubs die Hutschnur platzen.
Seit Gründung der 3. Liga im Jahr 2008, gab es in elf von zwölf Spielzeiten Gastspiele von Zweitvertretungen. Bremen II, Dortmund II, Stuttgart II, Bayern II – sogar Mainz II trieb sich drei Jahre auf den Plätzen gestandener Vereine aus Unterhaching, Chemnitz, Rostock und Co herum. Neben sportlich durchwachsenen Leistungen fielen die „Zweiten“ in der Vergangenheit vor allem durch das Desinteresse der eigenen Fans auf. Zehnmal stand ein Reserveteam auf dem letzten Platz der Zuschauertabelle. Auswärtsfahrer? Fehlanzeige. Für die Mannschaften, die als Miniaturversion ihrer reichen, großen Brüder existieren, kein Problem. Für Vereine, die jedoch auf jeden Cent der Spieltagseinnahmen angewiesen sind, eine große finanzielle Belastung.
In der Saison 18/19 war der Zuschauerschnitt der dritten Liga mit Abstand am höchsten. Es war bisher die einzige Saison, in der keine zweite Mannschaft in der dritten Liga aktiv war. Zufall? Wir glauben kaum (Quelle: https://www.transfermarkt.de/3-liga/besucherzahlenentwicklung/wettbewerb/L3).
Dass auch sportlicher Erfolg und ansehnlicher Fußball kein wachsendes Interesse bei den Anhängern wecken kann, zeigt das Schicksal der Bayern. Trotz Meisterschaft und einem Kollektiv aus Zauberfüßen, das sogar ohne die Marktwerte der eingesetzten Alphonso Davies, Mikael Cuisance und Joshua Zirkzee rund 21,5 Millionen Euro (Der durchschnittliche Kaderwert der anderen 19 Drittligaklubs betrug – stand 01.07.2020 – übrigens ca. 5,4 Millionen Euro) wert ist, hatten sie in der abgelaufenen Saison den zweitniedrigsten Zuschauerschnitt der Liga. Weniger Interesse am Spielgeschehen gab es nur in Aspachs „WIRMachenDRUCK Arena“, die allerdings auch jedes Wochenende mit dem Erlebnisprogramm des örtlichen Sonnenhof-Hotels um die Gunst der knapp 8000 Einwohner buhlen muss.
Bierhoffs 3. Liga-Reformvorschlag? Richtig schlechte Idee!
Bayern-Boss Hainer findet trotzdem: „Ein Leistungssportler strebt nach dem Maximum – und will aufsteigen, wenn er aufsteigen kann.“ Als Beispiel für einen vermeintlich faireren Wettbewerb verweist er auf das spanische Ligasystem. Hier dürfen Reservemannschaften auch in der zweiten Spielklasse ran. Blöd nur, wenn es durch dieses System zu Zwangsabstiegen kommt. 2012 musste Villareal B beispielsweise als zwölftplatziertes Team den Gang in die Drittklassigkeit antreten, da ihre erste Mannschaft sich nicht in „La Liga“ halten konnte. Sportlich fair klingt anders – aber an solche Szenarien hat Hainer als erfolgsverwöhnter Bayer wohl einfach nicht gedacht.
Zweite Mannschaften werden weder Spielern noch Fans gerecht. Die seltsame Bewertung ihrer sportlichen Leistung, die auf der einen Seite einen eigenen Aufstieg verbietet, auf der anderen Seite jedoch erlaubt, als Gegner der anderen Teams aktiv ins Ligageschehen einzugreifen, paart sich mit dem Desinteresse der Anhänger und der finanziellen Belastung anderer Vereine. Jeder verliert. Statt sich zu fragen, ob die Reserven auch in der zweiten Liga spielen dürfen, sollte man sie deshalb entweder komplett aus dem Profifußball verbannen oder sie konkurrenzlos und ohne Einfluss auf die Tabelle spielen lassen. Am sinnvollsten wäre ein Spielbetrieb nach englischem Vorbild. Seit 2012 gibt es dort ein unabhängiges Ligasystem namens „Professional Development League“. Hier kicken alle Jugendmannschaften von Profivereinen bis zur U23 gemeinsam und spielen in den jeweiligen Altersklassen einen eigenen Meister aus. In Deutschland gibt es ein ähnliches System bisher nur bis zur A-Jugend.
Von Ole-Jonathan Gömmel
(Professional Development Journalist, Anm. d. Red. )