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Jan Platte: „Es muss nicht immer Anfield sein“

Jan Platte, seit 2016 beim Streamingdienstleister DAZN, kommentiert wirklich alles: Bundesliga, Premier League, La Liga, Serie A, Tennis, Boxen – und nun das Champions-League-Finale zwischen Chelsea und City. Wir sprachen mit ihm über Anspannung vor großen Spielen, den Faktor Fans während einer Pandemie, die kurze fußballfreie Zeit im Sommer und über Bratwurst und Bier bei Altona 93


Sind Sie schon aufgeregt wegen Samstagabend?
Von klassischer Aufregung kann ich noch nicht sprechen, aber ich freue mich sehr, weil wir im Vorfeld schon ein paar Sachen rund um das Finale gemacht haben, bei DAZN.

Mittwoch Relegation, Samstag CL-Finale. Die Zeit nach der regulären Saison ist für Sie ja gefühlt wie die Abi-Woche. Eine dicke Aufgabe jagt die nächste…
In meiner Abi-Woche war unklar, wie gut ich mich vorbereitet habe. Jetzt weiß ich schon ziemlich viel zu den Mannschaften, habe zum Beispiel zur Relegation viel mit den Verantwortlichen gesprochen. Ich werde gut vorbereitet sein und freue mich ein wenig mehr als auf das Abi.

Ein wenig Wehmut da, weil Sie nicht vor Ort in Portugal sein können?
Natürlich. Vor Ort ist immer etwas anders, aber in diesen Zeiten und nach dieser langen Pandemie-Fußball-Zeit, die wir Kommentatoren erlebt haben, ist das für mich komplett nachvollziehbar und verständlich. 

Waren Sie verwundert, dass die Verlegung nicht nach Wembley geht?
Es gab den Vorschlag, es gab Gespräche – letztendlich wurde es Porto. Vielleicht lag es an den guten Erfahrungen mit Lissabon letzten Sommer.

So ein Durchschnittsspiel beansprucht bei Ihnen ca. 10 Stunden Vorbereitung – mal mehr, mal weniger. Wie viel ist es denn bei so einem besonderen Finale?
Das kann man gar nicht so klar festmachen. In meinem Dokument mit der Überschrift „Champions League-Finale“ sind ganz viel Dinge drin, aus dem Guardian, von der BBC, Dinge, die die letzten Spiele von Chelsea und Manchester City betreffen, ich habe viel geguckt – es ist eine Dauervorbereitung, die man gar nicht in eine Zeitspanne packen kann. Ab Donnerstag gehört meine Zeit komplett dem Finale. 

Wer holt sich den Henkelpott? 

Ich habe kein klassisches Bauchgefühl. Vor zehn Tagen habe ich in einer DAZN-Runde gesagt, dass  es für mich im Vergleich zu den letzten zwei Jahren mal wieder ein 50:50-Finale ist. Jetzt bin ich wahrscheinlich bei 53:47 Manchester City, allein aufgrund der letzten Auftritte. Wobei City auch nicht frei von Schwierigkeiten aufgespielt hat. Mit dem 5:0 gegen Everton haben die Skyblues aber eine Woche vor dem Endspiel noch mal einen guten Auftritt hingelegt. Bei Chelsea ist das etwas anders gewesen. Aber die letzten beiden direkten Duelle im FA-Cup-Halbfinale und in der Liga hat Chelsea unter Tuchel ja für sich entschieden.

Wie besonders ist so ein Finale für Sie und schließt sich damit vielleicht auch ein wenig ein Kreis nach einer seltsamen und verrückten Zeit, in der Fußball teilweise sogar überhaupt nicht mehr stattfand?

Es ist kein richtiges Kreis schließen, aber ein Höhepunkt zum Ende einer besonderen Saison. Champions-League-Finale. Allein der der Name macht die Bedeutung schon klar. Ich freue mich sehr, das begleiten zu können – auch mit dem ganzen DAZN-Team. Es ist toll, wieder ein Finale kommentieren zu dürfen. Ich freue mich wahnsinnig, dass da 16.500 Fans im Stadion in Porto sein werden. Das letzte Mal, als ich das erlebt habe, dachte man „es ist gut, was wir hören, aber ist es auch gut, was wir erleben?“ – das war das europäische Super-Cup-Endspiel zwischen Sevilla und dem FC Bayern in Budapest. Das war zu Zeiten, wo du dachtest „Inzidenztechnisch ist das sicher schwierig“. Aber diese Atmosphäre wieder zu haben, die Gesänge, die Fan-Reaktionen – das war großartig. 

Man merkt mit jedem einzelnen Fan, der wieder da ist, wie sehr es gefehlt hat…

Hier und da wurde ja wieder aufgemacht, ein paar Fans durften kommen und du hast gemerkt, dass die Vereine sich auch über 500 Leute sehr gefreut haben. Wahrscheinlich haben sie dafür drauf gezahlt, weil du Ordner brauchst, die Abstände müssen geregelt sein, Orga ist nötig. Aber das hat jeder mit Kusshand auf sich genommen, allein für das Gefühl wieder vor Leuten und für Leute die zuschauen zu spielen.

Erkennen Sie die vielzitierte Demut oder sind wir in einem Jahr wieder da, wo wir vorher waren?
Demut ist so ein großes Wort. Ich glaube, die Zeit, die Entbehrungen und die finanziellen Schwierigkeiten wird keiner vergessen – auch die großen Teams nicht. Letztendlich bleibt es das große Fußball-Geschäft. Das haben wir ja schon an der Super League-Idee gesehen. Ich glaube nicht, dass es die große Kehrtwende gibt. Das Geld wird einfach weiter sehr wichtig sein.  

In Spanien – das kommentieren Sie ja oft – ist das Thema Geld ja auch groß und hat die Liga auch beeinflusst.

Es war einerseits ein Saisonverlauf, der ein Stück weit mit Ansage kam. Vor allem Real Madrid und der FC Barcelona hatten ja in der Saison 19/20 schon viele Schwierigkeiten. Zwei Trainerwechsel in einer Saison bei den Königlichen, die Rückkehr von Zidane, die Entlassung von Valverde bei Barcelona, die missglückte Zeit unter Quique Setien, dazu die Kritik an vielen großen Spielern, die für viel Geld bei beiden Teams gekauft wurden. Dazu hattest du letzte Saison Atletico Madrid, das sich gegen Leipzig aus dem Viertelfinale der Champions League verabschiedet hat, durch einen Auftritt, der mich glauben ließ, dass die Simeone-Zeit langsam enden könnte.

Und jetzt wurde Simeone mit Atletico Meister…

Bei Atletico und auch bei Simeone hat sich mit der Verpflichtung von Luis Suarez einiges geändert und wir haben eine Atletico-Saison erlebt, die auch mich überrascht hat. Sie spielen eine perfekte Hinrunde, liegen weit vor Barca und Real, die wanken und sich dann plötzlich ab Jahresbeginn berappeln – zumindest was die Ergebnisse angeht. Griezmann, Pedri, de Jong – alle haben mal richtig gute Phasen und unterstützen Messi erfolgreich. Bei Real trumpfen Leute wie Lucas Vasquez oder Nacho auf, von denen du lange nichts mehr gehört hattest und so liefern nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Benzema, Kroos, Courtois Leistung ab. Grundsätzlich war es toll, die Situation zu haben, dass du vor der letzten Halbzeit nicht wusstest, wer Meister wird. Am Ende hat Atletico sich verdientermaßen gekrönt – dank eines Tore von Luis Suarez.

Diese „spanischen Verhältnisse“, die man früher in der Bundesliga nie wollte…
In sportlicher Hinsicht ja, in finanzieller nein. Na klar wünscht man sich so einen lange offenen Dreikampf auch mal wieder für die Bundesliga.

Es waren ja einige Teams 10-20 Spiele extrem stark, Potential ist bei einigen da. Warum klappt es nicht, die Bayern mal abzufangen?

Das sind genau die Fragen, die man sich bei diesen Vereinen stellen muss. In Gladbach gab es gute Entwicklungsschritte, man hat Highlight-Spiele gewonnen, aber anschließend wieder Punkte liegen lassen. Hinzu kam die Belastung aus der Champions League. Leverkusen hat stark begonnen, war Erster nach 12 Spieltagen, aber dann fehlte Konstanz. Dortmund hatte reichlich Unruhe rund um Favre und unter Edin Terzic, der einen tollen Job gemacht hat, gab es ja auch lange Zeit ein Auf und Ab. Und dann sind wir bei Leipzig, denen viele am meisten zugetraut haben.

Die dann aber am Ende auch eingebrochen sind…

Julian Nagelsmann hatte ja kein Geheimnis draus gemacht, dass er mit Leipzig gerne Meister werden würde. Aber nach dem Abgang von Timo Werner gab es keinen, der verlässlich für Tore gesorgt hat. RB musste sich häufig komplett verausgaben, um gute Ergebnisse zu erreichen. So hat jede Mannschaft ihre Geschichte und es war keine dabei, wo du dachtest „Aber du hätten es jetzt zwingend schaffen müssen“. Und dann kommen wir zu den Bayern, die eben wieder in den entscheidenden Moment Bayern-Fußball gespielt haben. In Leipzig gewonnen, gegen Dortmund nach 0:2-Rückstand gewonnen. Grundsätzlich wäre es eine Saison gewesen, wo man sie hätte knacken können, wenn alles perfekt gelaufen wäre – es ist halt bei niemandem perfekt gelaufen. Und die Probleme von Real Madrid, Barca oder Liverpool in anderen Ligen hatten sie nicht.

Worauf freuen Sie sich die nächsten Monate, wenn mal keine Champions League oder Bundesliga ansteht?
Grundsätzlich freue ich mich über die Vielfalt, was das Arbeiten angeht. Es stehen jetzt erst mal viele Fußball-Herausforderungen an, im Juli gibt es mal ein wenig Freizeit – auch darauf freue ich mich. Es macht mir auch Spaß, mal jenseits des Fußballs zu kommentieren. Da denke ich – auch wenn ich es nicht so oft kommentiere – an den Boxsport, vielleicht kommt Catch (Sat.1.-Spielshow, Anm. d. Red.) auch wieder um die Ecke. Es wird vermutlich nicht langweilig in den nächsten Monaten.

DAZN ist ja extrem breit aufgestellt. Wenn man nach unten scrollt, stehen da Dinge wie Darts, Rugby und Wrestling. Nachdem Sie schon Catch machen, warum nicht auch mal Catchen?
(lacht) Ich habe früher viel Tennis kommentiert, spiele selbst viel Tennis. Aber da sind wir fantastisch aufgestellt bei DAZN. Mein Hauptaugenmerk ist einfach Fußball. Ich höre Elmar Paulke und seinem Darts-Team sehr gerne zu, freue mich jetzt auch auf die NBA-Playoffs bei uns auf der Plattform – aber da bin ich als genießender Konsument richtig aufgehoben.

Bei DAZN gibt es immer wieder Co-Kommentatoren bzw. Experten. Was macht den Reiz aus, wenn man jemanden daneben hat, der eher Experte für das ist, was da unten passiert und nicht für das, was Sie machen?

Neulich war Sascha Mölders bei Köln gegen Freiburg zum ersten Mal als Experte dabei. Wenn man sich noch nicht kennt, ist natürlich immer die Frage, wie es passt. Mit ihm zusammen war es sehr lebendig, er hat sich gut eingebracht und es hat gut gepasst. Ansonsten ist das ja das gelebte DAZN-Konzept und es ist für mich eher die Ausnahme alleine zu kommentieren. Ich genieße das immer wieder aufs Neue diesen Mehrwert, Austausch und andere Blickwinkel zu haben, wenn Sandro Wagner, Ralph Gunesch, Seb Kneissl, Benny Lauth etc. dabei sind. Nicht, dass das allein keinen Spaß macht, aber wenn ich es mir aussuchen darf, kommentiere ich zu zweit.

Mit DAZN sind Sie bei einem Arbeitgeber, den es noch gar nicht lange gibt. Streaming allgemein wird immer normaler. Wie stellen Sie sich die Sportberichterstattung im Jahr 2030 vor?

Ich wünsche mir, dass der Sport im Vordergrund bleibt, dass es vielleicht sogar ein wenig eine Rückbesinnung gibt auf den Sport. Wir haben bei dem Thema Super League gemerkt, was es für Ideen und Diskussionen gibt. Wir haben während der Pandemie auch von Vereinsseiten Sorgen gehört, ob das Interesse der Fans so groß bleibt wie zuvor. Hinzu kommen die nachvollziehbaren Bedenken vieler Trainer, dass man ihren Spielern nicht noch mehr Partien zumuten kann. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, gibt es beim nächsten FIFA-Kongress den Vorschlag, die WM alle zwei Jahre auszutragen… Puh!

Mich begeistert dieses Spiel weiter und noch immer und ich freue mich auf besondere Fußballmomente und darauf, wenn die Fans wieder dabei sind. Ich wünsche mir, dass es weiterhin qualitativ hochwertige Berichterstattung geben wird – in jeglicher Hinsicht. Um zur Ursprungsfrage zu kommen: Ich hoffe, es gibt in 10 Jahren noch zwei Tore, die so groß sind wie heute, elf Spieler auf jeder Seite und einen leibhaftigen Schiedsrichter auf dem Feld. Das Spiel muss einfach menschlich bleiben und von Leuten übertragen werden, die Bock darauf haben.

Social Media wird in Zukunft auch nicht unwichtiger –  Sie sind auf den Nebenplätzen des Internets aber kein Lautsprecher.
Mein Sendungsbedürfnis ist überschaubar, wenn es keinen fußballerischen Hintergrund hat. Es ist nicht so, dass es mich raus zieht und ich jedem meine Meinung mitteilen muss. Was die sozialen Netzwerke angeht: Es ist keine Scheu. Ich mag den Austausch, es ist manchmal auch anstrengend, aber ich kann das gut ab, wenn jemandem mal was nicht gefällt. In diesen Zeiten, in denen man auch Pandemie bedingt weniger vor Ort ist und vielleicht auch nicht dieses „Foto vor Ort“ mit Mini-Mehrwert posten kann, ist es bei mir noch weniger geworden. Aber es ist kein „lasst mich bloß damit in Ruhe“. Da ist jeder anders – und das meine ich auch ohne Wertung. Wenn zum Beispiel vor einem Dortmund-Spiel gegen Sevilla der Schwatz-Gelb-Podcast fragt, ob ich da mit am Start wäre, bin ich der Letzte der „Nein“ sagt.

Wenn Sie sich als Kommentator zu Weihnachten ein Event für 2022 wünschen dürften – volle Hütte, Sportart egal, Ort egal, Teilnehmer egal – wie sähe der Wunschzettel aus?
Mal ein großes Tennisturnier zu begleiten zum Beispiel. Ich habe die French Open ein paar Mal vor Ort miterlebt – da ein voller Center Court und ein schönes Spiel, das würde mich sofort packen. Ansonsten sind es natürlich Spiele vor Ort in der Bundesliga oder der Champions League. Das war für mich bis hierhin schon eine ganz besondere Reise, die so Bock gemacht hat. So viele Stadien zu erleben, die man noch nicht kennt – und da meine ich nicht nur die ganz großen wie das Santiago Bernabeu, Wembley oder Anfield. Im jetzigen Finalspielort, dem Estádio do Dragão saß ich z.B. bei meiner ersten Champions-League-Reise, damals noch mit Per Mertesacker.

Und was kommt jetzt auf den Wunschzettel?
Es gibt den klassischen Sehnsuchtsort nicht. Außer die Adolf-Jäger-Kampfbahn in der Griegstraße 62 in Hamburg. Da spielt noch mein Jugendverein Altona 93, der aktuell in der Regionalliga Nord zuhause ist. Da auf den guten alten Holzbänken ein Spiel zu kommentieren, wäre ein Traum, denn das Stadion wird leider in den nächsten Jahren abgerissen und muss einer Wohnanlage weichen. Das ist unfassbar schade für diesen tollen Stadtteil und die altehrwürdige Kampfbahn auf der ich in meiner Kindheit Pokalspiele erlebt habe gegen Leverkusen oder Fortuna Düsseldorf hinter dem Tor im Altona 93-Trikot. Also: Die Mannschaft von Altona 93 noch mal am Mikrofon oder überhaupt begleiten zu können. Ich glaube der Präsident heißt noch Dirk Barthel, wenn er das liest, weiß ich nicht, ob er hellhörig wird, aber ich würde für ein kleines Bier und eine Bratwurst kommen.

Das Interview führte Thomas Poppe.