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Jan Henkel: „Der Fußball hat sich weiterentwickelt, das Publikum aber nicht“

Hast du die Hoffnung, dass das deutsche Publikum künftig mehr vom Fußball versteht? Auch dank eurer Arbeit? Oder ist es eher schwierig, die bestehende Kultur zu verändern? Das taktische Verständnis…
Ich glaube, wenn du das Spiel besser verstehst, dann hast du auch mehr Spaß dabei. Ich merke es an mir selbst. Was ich 22 Jahre lang nicht gesehen habe und jetzt anfange, zu sehen – das macht mir so viel mehr Freude, weil ich das Spiel anders schaue. Dass Mario Götze von allen auf die Mütze bekommt, aber eigentlich richtig gut spielt, weil er die Räume erkennt, dort wieder und wieder hineinläuft, aber einfach nicht von seinen Mitspielern angespielt wird, weil sie es nicht erkennen – wenn du das siehst, kannst du einen Spieler ganz anders bewerten.

Total gut nachvollziehbar. Wir merken es ja auch selbst, wie der Fußball durch Analysen mit dir und Matthias Sammer verständlicher wird. Ganz wichtig ist dabei aber immer auch das hektische Aufspringen von Sammer, dabei fast den Kameramann umboxen, alles wackelt aber Hauptsache schnell ran an die Tafel…
Das ist keine Effekthascherei, es ist nicht inszeniert. Was für mich wichtig ist: Sei einfach du selbst. Und Matthias ist so. Manchmal tickt er aus, weil ihn etwas dermaßen ärgert. Aber auf einer rein sportlichen Ebene.

Dann ist bei dir auch ein minimaler Kontrollverlust da, aber gleichzeitig auch das Vertrauen, dass es schon irgendwie läuft. Aber du weißt auch: Jetzt kann eigentlich alles passieren, oder?
Genau. Wir verstehen uns gut. Wenn du selbst Sportler warst, wenn du selbst dein Leben jahrelang einem Ziel untergeordnet hast, wenn du weißt, was es heißt, zu gewinnen und zu verlieren – das bringt einen noch einmal auf eine neue Ebene.

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Du bist ehemaliger Fechter, du spürst es auch deshalb für dich, den Sport einfach komplett in den Mittelpunkt zu stellen, weil du es gar nicht anders kennst…
Eins ist doch völlig klar: Die Leute gucken doch nicht unseretwegen, die Leute gucken, weil sie das Spiel sehen wollen. Und wenn du ein bisschen helfen kannst, dass die Leute mehr Spaß daran haben, weil sie dann einen Tick mehr sehen und erkennen, weil sie darauf vorbereitet werden, dann haben wir unsere Zielsetzung erfüllt.

Jeder ist eitel, sagst du. Wie sehr nervt es, dass Matthias Sammer häufig doch mehr im Fokus steht, wenn es um die Eurosport-Berichterstattung geht?
Er steht zurecht im Fokus. Für mich war es schon immer das größte Kompliment – auch schon früher bei den Sendungsnachbesprechungen bei Sky – wenn der Experte gut war. Wenn der Experte gut war, der davor vielleicht auch nicht immer gut war. Dann frag dich mal, warum er gut war. Das verstehen vielleicht neun von zehn Leuten dann nicht, aber es ist für mich das größte Kompliment. Klar, wir sind ein Duo. Aber der Experte liefert den Input und der Experte hat das Standing. Mein Part ist es, ihn zu lenken, ihn zu kontrollieren und zu schauen: Versteht es der Zuschauer noch.

Der Spieltag ist mittlerweile komplett zerstückelt, du brauchst diverse Abos, um alles sehen zu können…guckst du…
Ich schaue alles. Wenn wir bei Eurosport einen Doppelspieltag haben, Freitags- und Montagsspiel, dann weiß meine Familie: Die Büro-Tür ist oben zu, nicht hochgehen. Weil vier Mannschaften vorzubereiten ist echt viel Arbeit. Für 90 Minuten brauchst du ungefähr drei bis dreieinhalb Stunden Vorbereitungszeit.

Dein Wechsel von Sky zu Eurosport hieß auch: Voller Fokus auf den Moderatorenjob, dafür weiter weg vom Field, von der Mixed Zone, vom Rasen. Fehlt dir der Direktkontakt zu den Stars? Du hast sie alle vor dem Mikrofon gehabt: CR7, Zidane, Buffon…
Ja, das muss ich ganz ehrlich sagen: Champions League am Dienstag und Mittwoch im Fernsehen anzusehen – das tut weh. Ich war knapp 20 Jahre in den Stadien Europas unterwegs. Wenn du all diese Wege gegangen bist, mittendrin in den Katakomben warst, die eine Mannschaft links, die eine Mannschaft rechts – wenn du das dann im Fernsehen siehst und du dabei den Geruch dieses Raumes in der Nase hast, da denkst du dir schon: verdammte Hacke. Also Champions League fehlt noch. Punkt.

Das ist dann der Preis, den man zahlen muss…
Das ist so. Die Champions League, gerade wenn es in die K.O.-Spiele geht, die fehlt. Wenn du unten am Pitch bist, die anderen TV-Kollegen siehst, mit Fabio Capello sprichst… oder Mourinho. Mourinho hatte in dem Jahr, als er mit Inter die CL gewonnen hat, ein Ritual mit mir. Er ist abergläubisch und hat gesagt, er müsse vor den Spielen immer kurz mit mir sprechen, weil das Glück gebracht hat. Und das sind so Momente, die erlebst du wirklich nur in der Königsklasse.

Di Matteo ist mal mitten in einem Interview mit dir abgehauen. Was denkt man da?
Das Interview ist überragend gelaufen. Auch hier gibt es wieder eine unterschiedliche Wahrnehmung. Was hängen bleibt, ist, dass er weggegangen ist. Aber der Aufbau des Interviews war gut. Für mich sind das Momente, die für sich sprechen. Was haben die zuvor für einen Fußball gespielt? Das war ja nicht zum Angucken. Er kommt zu mir ans Mikrofon, Frage 1: Glückwunsch. Was ist das für ein Moment für Sie? Zweite Frage: Ein Scolari hat es mit Chelsea nicht so weit geschafft, ein Mourinho hat es mit Chelsea nicht so weit geschafft, aber Sie haben es geschafft. Dann aber – finde ich – kann man nach zweimal Lob auch kritischer werden. Dritte Frage also: Sie spielen einen erfolgreichen Fußball, ist der auch schön?

„Guckt er mich an, ich wiederhole die Frage nochmal und plötzlich geht er.“

Für mich ist das selbstredend. Im Finale gegen die Bayern hätte es nach 90 Minuten auch nur einen Sieger geben dürfen. Selbst Roman Abramowitsch hat sich geschämt für das, was sie unter Di Matteo gespielt haben. Das hat man ja an der Art und Weise des Jubels gesehen.

Hast du ordentlich Puls, wenn du merkst, dass deinem Gegenüber die Fragen nicht passen?
Nein, in den Momenten, wenn ein Spieler oder Trainer im Interview hochgeht, habe ich ein inneres Schmunzeln in mir, weil ich sage: Halleluja, jetzt hat der Zuschauer Spaß. Dafür machen wir es doch. Jetzt passiert endlich mal etwas, wo ich sage: Das würde ich mir auch selber gerne angucken, das würde ich selber gerne sehen als TV-Zuschauer.

Kollege Jörg Dahlmann hat im Gespräch mit uns gesagt: Das, was ich tue als Kommentator, ist für mich in erster Linie Unterhaltung. Das Spektrum bei dir ist nun relativ groß von „Taktische Übersetzungsarbeit leisten“ bis hin zu „Ich möchte, dass der Zuschauer Spaß hat zuhause“. Welche Rolle spielt für dich der Faktor Unterhaltung?
Mir gefällt eure Interpretation nicht, wenn es um die Gewichtung von Unterhaltung geht. Weil Unterhaltung ist in meiner Interpretation nicht „Wetten dass…?“, das ist es auch – aber Unterhaltung ist für mich auch, wenn Matthias Sammer sagt: „Guck mal hier, da muss der Spieler reinlaufen.“ Unterhaltung ist etwas, das ich interessant finde. Taktik unterhält mich ebenso wie Emotionen. Ein gutes Fußballspiel ist Unterhaltung. Ein gutes, tiefes Gespräch ist auch Unterhaltung. Etwas, wo ich reingezogen werde und wo ich dabei war.

Fans haben ein Überangebot an Fußballberichterstattung mittlerweile. Du lebst deinen Traumberuf, kannst sehr viel Fußball konsumieren. Der normale Fan muss Montag oder Dienstagabend vielleicht auch mal für die Familie auf Fußball verzichten. Je mehr gezeigt wird, desto mehr muss der Fan das Produkt Fußball in seinen Alltag integrieren.
Es ist jedem selbst überlassen, was er schaut und was nicht. Jeder ist doch ein freier Mensch und kann selbst für sich entscheiden. Ganz einfach. Es ist doch in erster Linie großartig. Ich habe die Möglichkeit, meinen Verein zu begleiten und immer alles zu sehen, wann ich es möchte. Das ist etwas Positives. Was ist denn daran negativ?

Nun werden die Montagsspiele wieder abgeschafft. Wie findest du das?
Ich finde die ganze Diskussion sehr scheinheilig und zwar von beiden Seiten. Die Fans haben wieder etwas gesucht, wo sie sich draufstürzen konnten. Was ist denn faktisch passiert? Bevor die Montagsspiele eingeführt wurden, gab es die Regel: Bis zu vier englische Wochen pro Saison. Mit der Einführung der Montagsspiele gab es dann nur noch zwei englische Wochen. Das heißt: Zwei englische Wochen fallen weg, das ist reine Mathematik. Kurz mal nachgerechnet: An einem Spieltag hast du neun Mannschaften, die reisen müssen. Das Ganze mal zwei, sprich: 18 Mannschaften, die an einem Dienstag oder Mittwoch reisen müssen. Was kommt bei den fünf Montagsspielen hinzu? Fünf Mannschaften pro Saison, die einmal reisen müssen. Das heißt: rein mathematisch hat sich die Situation mit den Montagsspielen für die Fans verbessert. Ob ich an einem Montag oder Dienstag reise, ist völlig egal. Die Situation hat sich verbessert. Nur es ist halt populistisch. Das ist der erste Punkt, der mich schon stört, es ist keine ehrliche Diskussion. Der zweite Punkt ist: Eine Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt bekannt zu geben, dass die Montagsspiele abgeschafft werden – was ist denn das für ein Zeichen auch für uns, die die Montagsspiele übertragen?


Das Interview führten Lars Kranenkamp & Cord Sauer
Fotos: Paul Gärtner

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