Gemeinsam gegen Kommerz, Katar, Krawall
Poppe wieder! Diesmal hat unser Autor Thomas Poppe die Schnauze wirklich voll. Beim DFB-Pokalspiel in Rostock fliegen Raketen und brennen Flaggen, paar Kilometer weiter südlich tanzt ein talentierter Kicker seinem Klub auf der Nase rum und ganz im Süden der Republik wird trotz Mia-san-Mia-Mentalität ein Fern-Ost-Deal nach dem nächsten eingetütet. Ist doch alles Mist, sagt Poppe – und sieht eigentlich nur eine Lösung.
Leute, ich bin es einfach nur leid, dass ich alles nur noch leid bin. Kommerz, Katar, Krawalle – der KKK des Fußballfans zieht seine weiße Maske kaum noch aus. Und warum? Weil nichts dagegen getan wird. Wir regen uns auf, tippen 2-3 schlaue Sätze in die Sozialen Netzwerke, wie kaputt unser so geliebter Sport geht – und schalten dann hastig Guingamp gegen PSG ein, weil wir dann doch sehen wollen, was Neymar in Paris so treibt. Ich, du, wir alle. Ein großes Futtern des „Is mir Wurst“-Salats. Eine Abrechnung mit uns Fans. Ich nehm mich nicht aus, im Gegenteil.
Mir tut der Zeigefinger vom Heben schon weh, so hart prangere ich alles in letzter Zeit an.
Meine Bayern, die mich 30 Jahren lang vor allem viele Nerven auf dem Platz gekostet hatten, verspielen gerade viel Kredit bei mir. Ist ihnen sicher egal, haben ja ein Festgeldkonto wie Onkel Dagobert. Asien-Reisen statt ordentlichen Vorbereitung, seltsame Personalpolitik, Katar-Deals mit dem Flughafen HIA. Ich warte nur darauf, wann das Motto für viel Kohle in #miasanhia geändert wird.
Premium-Sponsoring. Nur die Minions stehen öfter im Supermarkt-Regal. Hoeneß denkt sicher schon drüber nach, ob er einen Minion aus strategischen Gründen verpflichtet.
Ist eh wichtiger, dass 1 Milliarde Chinesen per App für einen Euro ein Bayernspiel schauen. Wir hier machen den Quatsch sowieso mit. Und jetzt kommts: Ich hab dennoch Bock. Auf die Saison, auf Stadion, auf diese wenigen geilen Momente.
Wäre das neue Trikot geiler, würde ich es wahrscheinlich sogar für 99,95€ kaufen. Zuzüglich Versandkosten natürlich. 200 Mark, würde meine Oma entsetzt sagen. Für ein Stoffstück mit 8,24€ Herstellungskosten. Aber irgendwo muss die Kohle ja herkommen, die Spielern und Beratern nie genug sein kann. Anderswo streiken sie, die armen Jungs, weil sie weg wollen. Die Dembélés und Diego Costas und wie sie alle heißen. Beim Zähneputzen 50€ verdient und dann nicht auf die Arbeit gehen, weil es anderswo 100€ gäbe. Würde der Kollege im Büro das machen – vielleicht sogar für endlich fairen Lohn – man würde ihn für bescheuert erklären.
Was die Spieler beim Ex-Club schon für ein falsches Spiel gespielt haben? Egal! Hauptsache da. Hintendran die Berater, die an jedem Transfer Unsummen verdienen. Von den Vereinen. Spieler wie Rennpferde oder Aktien. Der nächste talentierte 16-Jährige kommt bestimmt, wenn es der hier nicht packt. 222 Millionen Empörungspostings zu Neymar hab ich gelesen. Mindestens. Mich aufgeregt. Der Rattenschwanz sei so schlimm, wenn jetzt ein Dembélé – eine (!) gute Saison – über 100 Millionen wert ist und 5 Millionen das neue 500.000€ ist.
Dann hofft man, dass der BVB hart bleibt, wo er als AG ja eigentlich nicht hart bleiben dürfte. Was sollen die Aktionäre denken, wenn man sich 100 Millionen entgehen lässt? Echte Liebe und so.
Und trotzdem schau ich täglich auf all die Seiten mit den Transfers, den Gerüchten, hoffe auf nen Kracher für mein Team oder bin happy, dass mein Klub den Wahnsinn nicht mitmacht und nur 41,5 Milliönchen für Tolisso zahlt. Bayerische Bescheidenheit. So schön. Im Stadion selbst immer mehr frustrierte Volldeppen, die den Fußball zum Mittelpunkt ihres Lebens auserkoren haben, um ein Ventil für private Probleme, Bock auf Gewalt und Hass oder einfach nur einen kleinen Pimmel auszuleben.
Platzsturm nach dem Abstieg, ein verwüstetes Stadion, Pyrowürfe auf Gegner und Spieler, Angriffe auf Wehrlose – alles längst normal geworden. Just another Zweizeiler-Meldung. Ärgerlich, klar. Aber gehört ja irgendwie auch dazu und in der Türkei geht das noch ganz anders zur Sache. Lächerlich. Bleibt zu Hause, geht in den Boxclub oder unterstützt Euer Team. Geile Choreos, gute Proteste, Support aus tiefstem Herzen – alles steht im Schatten der falschen Fans, der Hirnlosen. Die, die ihren Jahresurlaub, ihr Geld und ihr Herzblut opfern, um ihren Jungs hinterher zu reisen, wird es immer schwerer gemacht.
Die Spieler sind längst nur noch Marken. Ein Kürzel ist super wichtig, natürlich auch ein Trademark-Move beim Tor. Die 10 wichtigsten Sätze der Agentur müssen natürlich immer sitzen, die Frisur eh. Und bloß nicht positionieren, am Ende sinkt der Werbe-Marktwert. Und natürlich immer schön das Vereinslogo küssen. Der Absatz an Vereinsbettwäsche in den 80ern und 90er muss gigantisch gewesen sein.
Respekt wollen sie alle, aber haben kaum welchen für Schiri, Gegner und Fans. Schwalben sind clever, Zeitspiel smart, verdeckte Fouls normal. Leistung ist schon auch wichtig. Aber zur Not kommt die Kohle auch über Social Media, Ausrüsterverträge und Autohauseröffnungen rein.
Influencer statt Innenverteidiger. Zum Kotzen!
Und dennoch machen wir auf den Bolzplatz den CR7-Jubel nach – halt mit Waschbär- statt Waschbrettbauch. Wir lassen uns verzaubern von perfekt durchgestylten Produkten, kaufen die Marken, weil wir irgendwie das Gefühl haben, dass wir dann auch durchgestylter sind. Leute, mal ehrlich: Wir haben nur zwei Optionen: Entweder wir halten ab sofort den Mund, lassen die Chinesen irgendwann die Anstoßzeiten bestimmen, zahlen irgendwann 150€ für schlechte Sitzplatzkarten und 300€ für das Halbjahrestrikot, lassen Vereine trotz Financial Fair Play irgendwann eine Milliarde Ablöse für einen einzigen Menschen bezahlen, essen und tragen weiter Produkte, deren Verkaufspreis zu 50% aus der Refinanzierung des großen Kickers besteht, der sie in die Kamera hält, glotzen jeden noch so unwichtige Grottenkick im Fernsehen und holen uns noch sieben Abos, um auch wirklich alles sehen zu können, was kein Mensch sehen müsste.
Oder wir schreien endlich mal richtig laut. Zusammen. In den Farben getrennt, im „Schnauze voll“ vereint. Lassen den Geldbeutel mal zu, kein Trikot, kein Stadion, Spieleabend statt Topspiel am Samstagabend, Kreisliga statt Sonntagsspiel, No-Name-Schuhe statt das Messi-Modell. Mund auf bei Hass, bei unfairen Dingen, bei Gleichgültigkeit. Ich will das und ich weiß gleichzeitig, wie schwer das ist für jeden von uns, der die Droge Fußball konsumiert.
Als Gastwirt mit dem Rauchen aufhören – in der Raucherkneipe – ist sicher leichter. Der Fußball hat Raucherhusten, aber überall hängen Kippenautomaten. Morgen hör ich auf, bestimmt. Würden wir es alle tun, würde die Blase vielleicht irgendwann platzen. Nicht sofort, vielleicht nie, weil anderswo eine Milliarde Chinesen gerade erst anfangen die Fußball-Droge zu konsumieren. Wir werden es nicht tun. Aber wenn wir ehrlich sind, wäre es der einzige Weg. Der einzige Weg, irgendwann mit meinem Sohn in ein sicheres Bundesliga-Stadion zu gehen, ein spannendes Spiel seines Lieblingsteams zu sehen und ihm vielleicht sogar das neue Trikot für 30€ zu kaufen. Oder wie meine Oma sagen würde: 60 Mark.
Von Thomas Poppe
(spielt gemeinsam mit der FUMS-Redaktion am Freitagabend parallel zum Eröffnungsspiel „Mensch, ärgere dich nicht“, Fernseher bleibt aus, Anm. d. Red.)