Monsun, Maskottchen & Merkel
Gefühlt sind alle – wirklich ALLE Sportjournalisten Deutschlands in diesen Tagen in Brasilien, um möglichst live, echt, hautnah etc. von der Weltmeisterschaft zu berichten. Cord Sauer ist hier geblieben. Keiner wollte ihm diese Reise bezahlen und FUMS – das Magazin für Fussball und Humor, ist auch finanziell, sammerma…einfach au noch nicht soweit. Dennoch – einen Grund, KEIN WM-Tagebuch zu schreiben, hat er (ohne großartig danach zu suchen…) nicht gefunden. Auch von Deutschland aus lässt sich live vor Ort berichten über Hitze und monsunartige Regenfälle, vom Tourismusmagneten WM und von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Teil 2 von Sauers WM-Tagebuch.
13. Juni 2014: Die WM lockt nicht nur zahlreiche Sportjournalisten nach Brasilien, sondern auch haufenweise Fans und Touristen. Die Straßen sind voll mit Reise- und Schaulustigen, die das Land erkunden wollen. Die örtliche Polizei hat alle Hände voll zu tun. Von unserem Hotelzimmer aus können wir einen Blick auf die Straße wagen. Es bestätigt sich unser erster Eindruck – hier steppt der Bär.
14. Juni 2014: Wir fliegen nach Porto Seguro, um den WM-Pokal zu besichtigen. Hätte ich mir größer vorgestellt, das Teil. Beim offiziellen Pressetermin wird schnell klar, dass die Trophäe scheinbar nur ein Vorwand war, um sämtliche Medienvertreter anzulocken. Tatsächlich werden uns wenig später Sammelkarten von einem regionalen Discounter in die Hände gedrückt. Sammelkarten, auf denen das kleine 1×1 des Fussballs erklärt ist. Der PR-Termin entpuppt sich als Medienschulung. Torschuss, Hackentrick, Übersteiger – Techniken des Sports, die mir tatsächlich fremd sind. Thomas Müller – soviel ist uns Deutschen bekannt – stochert (!) die Kugel schließlich immer irgendwie über die Linie…
15. Juni 2014: Die Anspannung steigt. Alle – auch die Niederländer – wissen: morgen steigt hier DAS Vorrundenspiel der WM 2014. Deutschland trifft auf Portugal. Eine gewisse Galligkeit ist nicht zu leugnen. Überall schwarz-rot-gold. So auch beim DFB. Manager Oliver Bierhoff, dieser Medienfuchs, hat angeordnet, dass die Spieler ab sofort mit Leihwagen vom Campo Bahia zum Trainingsplatz fahren sollen. Leihwagen in den deutschen Nationalflaggen, die natürlich auch in entsprechender Reihenfolge geparkt werden müssen. Nach dem PR-Desaster mit Mercedes vor WM-Start ist Opel als neuer DFB-Partner eingesprungen. Klopp gefällt das. Hummels, Durm und Weidenfeller also auch. Während die Drei gerade akribisch die deutsche Flaggenformation parken wollen, grätscht Großkreutz nichtsahnend dazwischen. Ohne Döner, dafür mit einem türkisfarbenen Volkswagen zerstört er die geplante Choreo und sorgt damit erneut für Negativschlagzeilen.
16. Juni 2014: Der Tag, an dem für Deutschland die WM beginnt, wird ein komischer für mich ganz persönlich. Ich habe ein Date mit der Kanzlerin. Gemeinsam mit Blatter, Platini und Niersbach habe ich mich mit Merkel verabredet, um das Spiel auf der Ehrentribüne zu schauen. Was für eine…ja: Ehre. Auf dem Weg zum Stadion begegnen uns seltsame Menschen in noch seltsameren Fahrzeugen, die sich ihrer Fanzugehörigkeit scheinbar högschd unsicher sind. Portugal, Deutschland…hauptsache WM.
Wie auch immer. Ich komme am Spielort an. Noch in Deutschland habe ich mit Regierungssprecher und Merkel-Wachhund Steffen Seibert ausgemacht, dass ich 90 Minuten neben der Kanzlerin sitze und nach dem Spiel ein Selfie mit ihr mache. Ich versuche, Merkel anzurufen und zu erfragen, wo genau wir uns treffen. Sie drückt mich eiskalt weg. Das Spiel beginnt. Deutschland gewinnt 4:0. Mein rechter, rechter Platz bleibt über die komplette Spielzeit frei. Quasi mit dem Abpfiff erhalte ich eine verwirrende SMS von AM. Wo steckt AM? Gehts ihr gut? Als ich in den späten Abendstunden mein Hotelzimmer erreiche und Twitter checke, zucke ich erschrocken zusammen. Ein Poldi-Merkel-Selfie macht die Runde durch das Soziale Netzwerk. Ich ziehe das Freistoßspray aus meinem Gürtel und streiche bzw. sprühe AM von meiner Kontaktliste. Diese verdammte Ellenbogengesellschaft.
17. Juni: Fritz-Walter-Wetter in Salvador. Das ist kein Regen mehr, das ist ein Wasserfall, ein Monsun, der da auf uns einprasselt. Kann hier überhaupt Fussball gespielt werden? Wenige Stunden vor dem Anpfiff des Spiels Brasilien vs. Mexiko sitze ich im Auto und komme kaum vorwärts. Keine Kahnung – – verrückt: wollte „Keine Ahnung“ schreiben, aber Kahn hat sich direkt via implementiertem ZDF-Chip eingeschaltet und beantwortet damit die Frage, bevor ich sie schriftlich überhaupt stellen konnte. Der Vollständigkeit halber: Keine Ahnung, wer bei diesem Wetter vernünftig Auto fahren kann. Die Lösung: Kahn kann. Titan, Titan…
18. Juni: Ich entdecke die hässliche Seite der WM. Nein, Sepp Blatter habe ich nicht gesehen. Doch als ich ein wenig flussaufwärts ins Landesinnere fahre, sehe ich sie: diese putzigen Gürteltiere, die WM-Maskottchen. Die Zustände, in denen diese Tierchen gehalten werden, sind allerdings unwürdig. Auf kleinstem Raum müssen sie ausharren, bis sie für Stadion-, TV-, oder andere Werbeauftritte gebraucht und hinausgezerrt werden. Ich spüle die schockierenden Bilder mit einem stilechten WM-Getränk runter. Lang lebe der Kommerz.
Direkt die nächste Enttäuschung. In der WM-Power-Dose ist kein Alkohol drin. Flügel verleiht es auch nicht. Immerhin Energy. Lächerlich. Ich becher mich weg.