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8 unbequeme Wahrheiten für Bayern-Fans

Bayern gegen Liverpool war zwar nicht das Erwachen der Bestia Negra, aber ein Fingerzeig, dass man in Europa noch im Konzert der Großen mitspielen kann. Nicht mit einer Offensiv-Gala wie 2013 in Barcelona, aber eben mit kluger Taktik und beherztem Einsatz. Wer als Bayern-Fan glaubt, dass man noch in den Top 5 in Europa steht, ist dennoch naiv und der Weg dorthin zurück ist Naidoo-like steinig und schwer. Unser Edel-Bazi Thomas Poppe hat acht unbequeme Wahrheiten für Bayern-Fans und hofft innigst, dass er mit keiner davon Recht hat.


Unbequeme Wahrheit Nummer 1: Der BVB schwächelt und wird trotzdem Meister
Sieht gut aus, wie der BVB gerade regelmäßig Federn lässt. Und nur noch drei Punkte – das fühlt sich wie eine gelungene Aufholjagd an. Die Wahrheit ist allerdings, dass man jetzt selbst erst mal unangenehme Ligaspiele bewältigen muss. Samstag kommt die Hertha, dann geht es nach Gladbach, wo man schon in den letzten Jahren gerne Federn ließ. Und während sich der BVB vor dem German Classico ausruhen kann, müssen die Bayern, die schon im Hinspiel in der Schlussphase einbrachen, am Mittwochabend im Pokal ran. Der BVB wird noch Punkte liegen lassen. Die Bayern aber eben auch. Und vielleicht versaut die Eintracht am 34. Spieltag, wenn der BVB in Gladbach spielt, sogar schon wieder einen Titel im Duell mit dem Rekordmeister.

Unbequeme Wahrheit Nummer 2: Der Umbruch wird noch Jahre dauern
Wer glaubt, mit drei oder vier guten Transfers im Sommer wäre man wieder auf Augenhöhe mit der europäischen Spitze, der wird bitter enttäuscht werden. Der letzte Umbruch war 2007. Ribéry, Toni, Klose, Jansen, Breno, Ze Robertos Rückkehr, Schlaufdraff, Sosa – ein dicker Einkaufszettel mit der einen oder anderen Fehlzündung. Double und Uefa-Cup Halbfinale folgten, mit Klinsmann, Massimo Oddo, Tim Borowski und Landon Donovan wollten man dann auch in der CL angreifen und wurde im Viertelfinale in Barcelona weggeklatscht. Selbst in der Saison 2009/10, als man Gomez und Robben holte, Schweini und Lahm zu Topspielern wurden und Van Buyten und Demichelis eine heftige Innenverteidigung bildeten, mogelte man sich nur ins Finale. 2011 war im Achtelfinale alles vorbei und die wirklichen Zahltage folgten erst 2012 und 2013, als man Müller aufgebaut hatte, Alaba, Gustavo, Neuer, Boateng, Mandzukic, Martinez und Dante kamen und auch Mannschaft und Trainer passten. Fünf Jahre, in denen eben auch mal Wolfsburg und der BVB Meister wurden und Schalke, Bremen und Dortmund in Berlin triumphierten. Und die dann eben auch in sechs Jahren krasser Dominanz mündeten. Die ganz fetten Jahre sind vorbei und sie kommen nicht wieder, nur weil man mal kurz vier Topspieler verpflichtet.

Unbequeme Wahrheit Nummer 3: MiaSanGier statt MiaSanMia
Mit schlechten Transfers kann ich als Fan leben, mit Niederlagen oder Jahren ohne neuen Briefkopf mangels Titeln auch. Was mich viel mehr schmerzt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich ein FCB mit fragwürdigen arabischen Investoren eingelassen hat. Geld von den Scheichs als Katarlysator quasi. Weg vom deutschen Partner Lufthansa. Ein Geldspeicher hinter der Arena, der dank Kohle aus Katar jetzt nicht mehr dreiviertel sondern komplett voll ist. Money for nothing but trouble. US-Reisen in der Vorbereitung, Trainingslager in Stadien, die von Sklaven gebaut wurden. Mia san Gier. Schade!

Unbequeme Wahrheit Nummer 4: Uli und Kalle haben noch lange nicht fertig
Der so dringend nötige Umbruch muss auch neben dem Platz vollzogen werden. Hoeneß und Rummenigge an erster Stelle. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht – auch weil die beiden Alten von der Muppet Show nie wirklich einen in Stellung bringen wollten. Nerlinger kann man noch nicht mal als Versuch bezeichnen, Sammer wäre es vielleicht gewesen, war am Ende aber doch nur der Lückenfüller für den inhaftierten Hoeneß und wurde im Anschluss immer weiter entmachtet. Nun hat man Brazzo, der vielleicht nicht so schlecht ist, wie er in vielen Running Gags gemacht wird. Aber eben auch noch weit entfernt, die Nachfolge antreten zu können. Vereinslegenden wie Scholl, Kahn, Effenberg, Lahm oder Schweinsteiger müssten her – offenbar haben sie aber alle selbst keine Lust, den Azubi von Uli und Kalle zu spielen und sich die Finger zu verbrennen.

Unbequeme Wahrheit Nummer 5: Der Transfermarkt ist Lava
Die großen Namen, die die Bayern in den letzten Jahren holten, hatten alle ein kleines Manko: Ribéry galt als Problemfall, Toni war bereits 30, Real machte für CR7 Platz und gab nur deswegen Robben ab, Alonso stand bereits kurz vor Karriereende und Thiago schaffte auch wegen seiner vielen Verletzungen nie ganz den Durchbruch in Barcelona. Gehandelt werden in den letzten zwei oder drei Jahren viele Spieler mit dem Stempel Weltklasse. Gekommen ist bisher keiner. Und das wird auch so bleiben. Wer in einer (im Meisterrennen) meist langweiligen Liga nationale Titel sammeln will, kann das eben auch in Paris – für noch mehr Geld. Und wenn Spanien oder England anklingeln, ist die Nummer von Brazzo schnell wieder von der Schnellwahltaste gelöscht. Von Südamerika lässt man spätestens seit José Ernesto Sosa und Julio dos Santos (Hoeneß: „Das wird eine Bombe!“) die Finger. Dabei schaffen es andere Teams auch, Brasis und Gauchos auf europäisches Topniveau zu heben. Die Selbstverständlichkeit für die besten Deutschen, zu den Bayern zu wechseln, ist längst vorbei. Sané in Manchester, Kehrer in Paris, Can in Turin, Rüdiger bei Chelsea – gut möglich, dass auch Havertz oder Werner lieber zu einer internationalen Adresse überlaufen. Pavard, der Weltmeister, das klingt gut. Das klang bei Europameister Sanches aber auch so. Pavard, der Stuttgarter – das ist, wenn man ehrlich ist, bisher kein Transfer, der auf mehr Stabilität hoffen lässt. Und einer wie Griezman oder Dybala in München? Forget it! Und so bleibt nur zu hoffen, dass man wieder Spieler kurz vor dem Durchbruch bekommt und ihnen auch die Chance gibt, diesen zu schaffen.

Unbequeme Wahrheit Nummer 6: FC Bayern Deutschland ist Geschichte
2014 war es auch ein gigantischer Bayern-Block, der den WM-Titel möglich machte. Neuer, Boateng, Lahm, Müller, Schweinsteiger, Kroos – alles Leistungsträger. Klose viele Jahre im roten Trikot und dann noch dieser Joker aus München, dieser Mario Götze. Auch 2018 waren noch sieben FCB-Kicker im Kader, aber eben eher Teil von Leistungsdiskussionen oder Memes. Aktuell sind wohl nur Kimmich und Süle noch gesetzt, Gnabry liegt in Lauerstellung mit Goretzka und Jungs wie Neuer, Hummels, Boateng und Müller scheinen eher Problem als Lösung zu sein. Wenn die Bayern bei der EM 2020 wieder einen dicken Block bilden wollen, müssten sie schon gut einkaufen. Jenseits von Havertz und Werner scheint aber kaum ein Transfer eines deutschen Top-Nationalspielers realistisch. Und ob die wollen? Siehe 5.!

Unbequeme Wahrheit Nummer 7: Jugendarbeit? Weiter mangelhaft!
Man könnte natürlich behaupten, dass alle Topteams Probleme mit der Integration des Nachwuchses haben. Aber man muss nur auf die Jugendarbeit von Real Madrid blicken um zu sehen, dass es offenbar eher ein Bayern-Problem ist. An der Isar holte man zunächst Jungs wie Felix Götze (jetzt Augsburg, ablösefrei), Niklas Dorsch (Heidenheim, ablösefrei), Fabian Benko (LASK, ablösefrei), Julian Green (für 300.000 Euro zum VfB Stuttgart) oder Gianluca Gaudino (für 50.000 Euro zu Chievo Verona) hoch und schenkte sie nach und nach ab. Einzig Pierre-Emil Höjbjerg bracht 15 Millionen Ablöse – versprochen hatte man sich gerade von ihm eigentlich einen neuen Stammspieler. Dass man Emre Can für fünf Millionen zu Bayer Leverkusen wechseln lies, sollte nach dem Verkauf von Toni Kroos für 25 Millionen wohl das zweitgrößte Abgabe-Debakel der letzten 10 Jahren sein. Der letzte, der es schaffte: David Alaba – vor neun (!) Jahren. Zuvor hatte man in kürzerer Zeit mit Müller, Kroos, Wagner, Hummels, Ottl, Guerrero, Trochowski, Lahm, Lell, Schweinsteiger und Badstuber gleich eine komplette Truppe späterer gestandener Profis hochgezogen. In den letzten fünf Jahren kamen aus der Real B-Mannschaft Nacho Fernandes (regelmäßig im Einsatz), Alvaro Morata (66 Mio. Ablöse von Chelsea), Jese (25 Mio. Ablöse von Paris), Diego Llorente (7 Mio. Ablöse von Sociedad), Mariano Diaz (8 Mio. von Lyon, Rückkauf für 21,5), Achraf Hakimi (Leihe zum BVB) und ein paar solide Backups. Weitere Spieler sind aktuell noch verliehen und kommen gereift zurück oder bringen gute Ablösesummen. Selbst das Experiment Ödegaard kostete nur 2,8 Millionen.

Unbequeme Wahrheit Nummer 8: Der beste deutsche Torhüter heißt ter Stegen
Neuer gegen Liverpool war wieder „Manu der Libero“. Ein ganz wichtiger Faktor, der auch in den wenigen gefährlichen Momenten da war. 70 Ballkontakte, mal der Lob über Salah, mal das Langholz nach vorne. Stark! Fast der Alte von der WM 2014 und früheren großen Champions League-Abenden. Aber eben auch nur fast. Wie auch, bei immer wieder neuen langwierigen Verletzungen. Das WM-Aus lag nicht an Manuel Neuer, aber spätestens da hätte bereits Marc-Andre ter Stegen das Tor hüten müssen. Und wenn man seine konstanten Leistungen mit ständigen Hammer-Paraden in Barcelona sieht, hat er sich die Nummer 1 endgültig verdient. Für die Bayern, die mit Kahn und Neuer über zwei Jahrzehnte mit Pausen den besten Torhüter der Welt im Kasten hatten, wird die Nachfolge-Suche schwer. Schon nach Kahn hatte man mit Butt, Rensing und Kraft Lösungen von ganz unterschiedlicher Qualität und in Fan-Kreisen wurde Neuer mit viel Hass empfangen. Der Neuer-Nachfolger könnte zum ersten Mal seit Jean-Marie Pfaff in den 80ern kein deutscher Nationalspieler sein oder werden.


Von Thomas Poppe
(beschäftigt sich offensichtlich viel zu viel mit dem FC Bayern, ist das jetzt schon eine unbequeme Wahrheit? Anm. d. Red.)