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Jan Henkel: „Der Fußball hat sich weiterentwickelt, das Publikum aber nicht“

Jan Henkel moderiert für Eurosport die Freitags-, Montags- sowie einige Sonntagsspiele der Fußball-Bundesliga. Gemeinsam mit Experte Matthias Sammer wurde das Duo vielfach für die taktische und qualitative Berichterstattung gelobt. Wir haben Henkel getroffen und mit ihm über das taktische Verständnis des Publikums, die Abschaffung der Montagsspiele und Eitelkeiten eines Moderators gesprochen.


FUMS: Jan Henkel, aktuell stehst du als Moderator bei Eurosport vor der Kamera, davor warst du über zehn Jahre bei Sky, hast dort ebenfalls moderiert, aber auch den Fieldreporter gemacht. Nie den Drang verspürt, auch mal als Kommentator zu arbeiten?
Jan Henkel: Nein. Das können andere besser als ich.

Wenn du deine Arbeit selber so auslegst, dass du sagst: Ich bin nicht der große Sprücheklopfer, ich bin mehr auf dieser sachlichen Schiene, bin fokussiert auf meinen Job als Moderator…
Ich habe nicht die sachliche Schiene, ich habe meine Schiene. Ich kann nur so sein, wie ich selbst bin. Wenn ich anfangen müsste, eine Rolle zu spielen, wäre ich hoffentlich – spätestens nach meiner Frau – der Erste, der sagen würde: Halt! Stop! Hör auf, mach etwas anderes.

Du weißt, dass du mit dieser Haltung so langsam in eine Schublade hereinrutscht, in der nicht mehr all zu viele drin sind in Zeiten, in denen man sich fragt, ob einige Moderatoren und Kommentatoren den eigenen Gagschreiber unterm Tisch hocken haben…
Ich finde eure Ansicht interessant, dass ihr glaubt, dass man sich damit von dem aktuellen Hype ein wenig wegbewegt. So gesehen würde ich mich ja von mir selbst wegbewegen und das will ich nicht. Ich merke einfach: Auch durch die Art und Weise der Sendung, die wir machen, dass Substanz gerade sehr gefragt ist. Warum ist das, was wir mit Matthias Sammer machen, erfolgreich? Weil die Leute plötzlich merken: Wow, da ist Substanz dahinter. Und deshalb glaube ich nicht, dass man einem Hype nachgehen muss.

„Eins ist klar: Jeder ist gerne erfolgreich und jeder wird gerne gelobt und alle, die      diesen Job machen, sind eitel. Und ich bin auch eitel. Punkt. Wer was anderes sagt, der lügt in meinen Augen. Sonst kannst du nicht diesen Job machen.“

Aber: Ich glaube es ist ganz wichtig, selbst Sportler auf Spitzenniveau gewesen zu sein, um zu wissen, was es heißt, Leistung bringen zu müssen. Der Sportler und dessen Leistung steht für mich immer über allem und nie über mir selbst. Ich mache das nicht, um aus der Masse herauszuragen, sondern mein Ansatz ist: Der Fußball und der Sport haben sich extrem weiterentwickelt – und das Publikum hat sich leider nicht so mitentwickelt.

„Der deutsche Fußballkonsument hat sich nicht adäquat zum Fußball mitentwickelt. Weil es ihm niemand erklärt hat, was da unten auf dem Platz passiert. Setz dich mal mit Julian Nagelsmann an einen Tisch und ich garantiere dir: Nach fünf Minuten schämst du dich und denkst: Verdammte Hacke, ich weiß ja gar nichts über Fußball.“

Er und auch Domenico Tedesco haben einen Sprachgebrauch – diametral abkippender Sechser, ihr wisst schon. Das ist irgendwann zu viel für den Zuschauer. Und das war mein Ansatz: Es kann doch nicht mehr sein, dass das deutsche Publikum vor dem Fernseher sitzt und sagt: „Die müssen doch mal Gras fressen“, „Die müssen mal ordentlich draufgehen“ und…

„Leader. Die Mannschaft braucht mal wieder einen Leader…“
Genau. Und: „Die Struktur der Mannschaft ist auch wichtig.“ Mittlerweile hast du zwei Grundsätze im Fußball: Räume finden und Überzahlsituation schaffen. Das ist zunächst einmal etwas ganz Grundsätzliches, etwas das man den Zuschauern auch erklären kann. Mithilfe des Scouting Feeds und des Touch-Screens.

Ihr leistet Übersetzungsarbeit quasi, oder?
Ich habe 16 Jahre in Italien gelebt. In Italien leben die Menschen den Fußball anders, auch weil er ihnen von den Journalisten anders erklärt wird. Da gibt es einen großen Niveauunterschied. Kleines Beispielaus der Europa League-Saison 2016/2017: Vor dem Spiel AC Floranz gegen Gladbach fragte mich der italienische Journalist: „Es ist noch nicht sicher, ob Stindl oder Dahoud spielen wird, was bedeutet das denn für die Grundordnung und das Spiel als solches?“ Die haben die Kernfrage des Spiels aus der taktischen Perspektive erkannt und thematisiert – und das Publikum erkennt dies dementsprechend auch. Wenn ich als deutscher Journalist frage: Wer spielt denn heute, Stindl oder Dahoud – da sagen die Italiener: „Was ist denn das für eine Frage?“ Als Trapattoni Bayern-Trainer war, da hat er zu mir gesagt: „Jan, das ist ja überragend hier bei euch in Deutschland. Die Leute fragen mich: Wie lange war der Basler unterwegs und was hat der Effenberg gemacht? Aber kein Mensch sagt mir: Mister, in der 64. Minute haben Sie gewechselt, aber warum haben Sie denn dann nicht umgestellt, den einen auf links und den anderen nach vorne gezogen?“ Und das ist Kultur. Das ist Fußballkultur.

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Das verändert man nicht mal eben so. Aber plötzlich kommen ein Nagelsmann oder ein Tedesco oder ein Kohfeldt und bringen den Fußball auf eine ganz andere inhaltliche und taktische Ebene. Zuvor hatten wir das große Vergnügen, dass Pep Guardiola drei Jahre in der Bundesliga gearbeitet hat – Matthias Sammer hat ja so eng mit Guardiola zusammengearbeitet und sagt selber, dass er in diesen drei Jahren auch nochmal einen Sprung gemacht hat. Wenn wir dann analysieren, dann sagt er: „Guck‘ mal hier: Da hätte Pep gesagt: Nicht hier stehen, sondern zwei Meter weiter vorne.“ Diesen Input von Pep quasi über Sammer eins zu eins zu bekommen, das ist für mich im Moment das Größte. Das merke ich auch, wenn ich mich mit den anderen Trainern unterhalte. Früher haben die Telefonate mit den Trainern zehn Minuten gedauert. Neulich musste ich mal eins nach zwei Stunden und 43 Minuten abbrechen mit der Begründung: „Ich muss ins Bett, ich habe morgen eine Sendung.“

War das die erklärte Herangehensweise an den Job bei Eurosport? War das der Ansatz?
Das war meine grundsätzliche Vorstellung, als ich damals gekommen bin. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis mit Julian Nagelsmann, als er über Fußball sprach und ich danach dachte, etwas übertrieben gesprochen: 

„Ich verstehe den Fußball nicht mehr. Das war mein Anreiz. Ich würde gerne versuchen, das zu ändern. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir kriegen dafür auf die Mütze oder das Ding wird abgefeiert.“

Und es gibt für diesen Ansatz für mich nur einen Experten: Matthias Sammer. Dann habe ich Matthias angerufen, wir kannten uns ja schon aus Sky-Zeiten, und er hat dann gesagt: „Du, das passt gerade überragend in meine Lebensplanung hinein“ und dann war das klar. Er ist natürlich einer – den gibt es kein zweites Mal.

Das ist richtig…
Vom Wissensstand, dem fußballerischen Know How, dann diese 360-Grad-Abdeckung: Als Spieler den Goldenen Ball gewonnen, als Trainer der jüngste Meistertrainer der Bundesligageschichte, er war der erste DFB-Sportdirektor und war der erste Sportvorstand beim FC Bayern. Was willst du da eigentlich noch machen?

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