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Neulich schrieb mir einer: Ey, du Blinder, das war ein Elfer

Sie gehören zur neuen Generation der Fußballexperten, sie stehen regelmäßig für DAZN am oder vorm Mikro und sie brennen für die englische und spanische Liga: Ralph Gunesch und Jonas Hummels. Wir haben beide zum Doppelinterview getroffen und über Expertenvorbilder, Taktik vs. Unterhaltung, prägende Trainer und emotionale Fieldinterviews gesprochen. Klar, dass wir da auch schnell bei Danny da Costa, Jürgen Klopp und Manuel Baum waren…


Jonas Hummels und Ralph Gunesch – mal ganz unkonventionell vorab: Gibt es Fragen, die ihr schon tausendmal gehört habt und auf die ihr keine Lust mehr habt? Die Frage nach Bruder Mats vielleicht oder wie es zum Spitznamen „Felgenralle“ kam?
Jonas Hummels:
Also mir ist es völlig egal. Es gibt mit Sicherheit Fragen, die mir zu den Ohren raushängen, aber trotzdem kann man die Fragen ja stellen. Ich antworte auf alles. Manchmal enthusiastisch, manchmal weniger enthusiastisch. Vielleicht habt ihr ja eine gute Bruder-Frage dabei, wer weiß.

Ralph Gunesch: Die Fragen nach Felgenralle kommen schon in gewisser Regelmäßigkeit, aber das ist auch vollkommen okay.

Wir verzichten mal explizit auf diese Fragen, haben aber ein paar andere im Gepäck. Ihr seid DAZN-Experten der ersten Stunde und werdet oft genannt, wenn es um die neue Generation von Fußballexperten geht. Was unterscheidet euch von den Netzers, Scholls oder Hamanns dieser Welt?
Gunesch:
Ich glaube, jeder wählt so seinen ganz eigenen Ansatz, Fußball gucken, Fußball bewerten, Fußball beschreiben. Bei uns beiden ist es so – und da kann ich auch alle anderen bei DAZN einschließen – dass wir einfach Bock auf die Arbeit und den Fußball an sich haben. Bei uns steht der Fußball im Vordergrund. Das ist unsere Herangehensweise.

Hummels: Es macht eigentlich keinen Unterschied, wer über Fußball redet. Solange es inhaltlich einigermaßen okay ist. Also ob es nun ein Günther Netzer ist, der ja als sowohl als Experte als auch als Spieler eine Koryphäe war oder einer von uns – vielleicht hat es etwas mehr Gewicht in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn Netzer oder ein Lothar Matthäus etwas sagen. Dann steht es in deutlich mehr Zeitungen, als wenn Ralph oder ich etwas sagen. Aber im Endeffekt ist der Sinn dahinter, den Leuten das Spiel näher zu bringen und ich glaube, wir sehen das Spiel immer noch ähnlich, wie die meisten Zuschauer. Wir sagen ja auch nicht: „Schau mal, der Außenverteidiger muss 14 Zentimeter weiter links stehen.“ Der Mittelweg ist wichtig. Wir sind sicher nerdiger als die Öffentlich-Rechtlichen, aber wir haben viele Dinge unserer Vor- und Nachberichterstattung ausschließlich auf unsere Plattform verlagert und haben deshalb auch mehr Möglichkeiten.

Uns kommt in der Halbzeitpause keine Tagesschau dazwischen.

Gab es bestimmte Vorgaben damals, als ihr Teil dieser Beta-Phase wart? Wurde euch die Philosophie von DAZN vermittelt und wurde euch gesagt, wie sie sich Fußballexperten vorstellen oder wünschen? Vielleicht, dass bestimmte Dinge anders gemacht werden sollen?
Gunesch:
So ganz konkret fällt mir da nichts ein, aber als uns das Konzept damals vorgestellt wurde und wir erfahren haben, wie eine Übertragung aussehen soll, wann und ob wir überhaupt zu sehen sind vor und nach dem Spiel – da wurde gesagt, dass das Spiel im Vordergrund steht. Und da schwingt dann ja auch schon eine Grundausrichtung mit.

Hummels: In den ersten Monaten war das Motto schon sehr: Geht’s raus und spuit’s Fußball. Irgendwann gab es dann eine Mail mit einer Kommentatoren-Guideline, später kamen dann die ersten Schulungen. Aber zunächst war es schon von Null auf Hundert, direkt rein in den internationalen Fußball.

Es entwickelt sich ja auch selber. Jonas, du hast mal gesagt: Wenn du dich zurückerinnerst, dann hast du zu Beginn vor allem den Kommentator bestätigt und kaum selbst Input eingebracht…
Hummels:
Ich erinnere mich an die erste Schulung damals. Mir war das gar nicht aufgefallen, aber Markus Götz, der jetzt bei Sky ist. Der hat gesagt: Jonas, hör‘ mal ganz kurz zu. Dann hat er die Aufzeichnung drei Minuten laufen lassen und man hat drei Minuten gehört, wie Jonas immer nur „Ja, „mhm“, „Ja“, „mhm“, gesagt hat. Aber selbst in den Schulungen wird nicht versucht, alles auf links zu drehen. Mein Lieblingsbeispiel sind Szenen direkt nach einem Tor. Man sieht dann relativ schnell, wie die jubelnden Spieler aufeinander hängen. Da sollte man nicht unbedingt parallel zum Jubel das Tor analysieren, sondern einfach die Emotionen für sich stehen lassen. In der ersten Wiederholung kann man dann loslegen. Das ist Handwerkszeug, das uns dann mitgegeben wird.

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Wie wichtig sind da Faktoren wie Ruhe und Gelassenheit? Wenn man Dinge auf dem Platz sofort erkennt, dann hat man doch sicher oft das Bedürfnis, das Wissen schnell weiterzugeben?
Gunesch:
Ja, das bringt die Erfahrung irgendwann mit sich. Irgendwann merkst du, wie ein Spiel aufgebaut ist, wann welche Slowmotion kommt. Deshalb fällt es leichter, Wissen kurz zurückzuhalten, um es dann rauszufeuern, wenn es für den Zuschauer passender ist.

Tauscht ihr euch untereinander aus? Also fernab dieser Schulungen?
Gunesch:
Es gibt unregelmäßige Feedbackrunden. Dadurch, dass ich sehr viel Fußball in England schaue, höre ich viel Moritz Volz und Sebastian Kneißl zu. Beide kenne ich schon seit vierzehn und achtzehn Jahren. Wir tauschen uns intern aus. Die Spiele in Spanien finden leider oft parallel zu meinen Spielen statt, deswegen kann ich bei Jonas weniger oft draufschauen.

Ihr habt beide sehr gute Drähte in den aktiven Profifußball. Wie sieht es dort mit Rückmeldungen aus? Sagen ehemalige Mitspieler oder vielleicht auch mal der eigene Bruder Mats: „Hey, da hast du aber daneben gelegen neulich“?
Hummels:
Eigentlich nur, wenn man eine Elfmeterentscheidung falsch bewertet hat (lacht). Das bekommt man dann aber auch so mit. So wirklich bewusste Nachrichten gibt es tatsächlich eher weniger, aber wenn man sich mal über den Weg läuft, spricht man auch mal darüber, klar: „Du machst es cool“, oder: „Du machst es nicht cool“, oder: „Du bist a Depp.“

Nach dem Clásico neulich, wo eine Elfmeterentscheidung strittig war, schrieb mir jemand: „Ey, du Blinder. Das war ein Elfmeter, klare Sache.“

Welche Experten mögt ihr richtig gerne? Gibt es Vorbilder – sowohl aktuell als auch in der Vergangenheit vielleicht?
Hummels:
Also ich habe zwei absolute Favoriten, das ist einmal Matthias Sammer – wegen ihm schalte ich früher ein, das muss ich ganz klar sagen. Mir gefällt auch das Zusammenspiel mit Jan Henkel, der sich auch unglaublich entwickelt hat. Und dann finde ich Matthias Stach und Boris Becker überragend. Ich liebe es, mit Becker Tennisspiele anzuschauen.

Gunesch: Zu Matthias Sammer kann ich ganz kurz sagen: Er findet richtig gut, was wir machen. Ich durfte für Marco Hagemann in der Relegation letztes Jahr den Assistenten machen in Wolfsburg und Kiel jeweils, da war Sammer auch vor Ort und er kam dann irgendwann auf mich zu und hat gesagt, er mag es, wie analytisch und sachlich wir unseren Job machen.

Stark. Das muss er ja nicht zwingend machen. Cool…
Gunesch:
Und ja, ich höre ihm natürlich auch gerne zu, wie er mit großer Leidenschaft und großem Sachverstand an die Sache herangeht. Das ist das, was mir so gefällt. Wenn wir im Fußball bleiben, aber das Land wechseln, dann sind es Experten wie Gary Neville und Jamie Carragher bei Sky Sports UK. Craig Bellamy macht es auch richtig gut. Hier in Deutschland wird häufig Neutralität verlangt, was ich auch gut finde. Ich schaffe es, während eines Spiels sachlich und neutral zu bleiben, kann mich aber nach einem überragenden Sieg von Eintracht Frankfurt schon auch sehr mit Danny [da Costa] freuen beispielsweise, weil er einer meiner besten Freunde ist.

Und ein Gary Neville stellt sich in England hin und sagt: Ich will nicht, dass Liverpool Meister wird. Es wäre aber auch unrealistisch, wenn er es nicht sagen würde. Der hat sein ganzes Leben bei United verbracht.

Sportartübergreifend gehört Elmar Paulke für mich zu den besten Experten. Und Patrick Esume. Bei beiden trifft großes Fachwissen auf sehr viel Herzblut.

Lass uns kurz bei Danny da Costa bleiben. Es gab da kürzlich ein Mixed Zone-Interview, bei dem du, Ralph, ihn nach einem furiosen SGE-Sieg in der Europa League am Mikro hattest. Wie kam es dazu?
Gunesch:
Normalerweise würde ich das nie machen. Ich bin nicht derjenige, der die Fragen stellt. Aber in dem Fall war es wirklich eine Ausnahme. Das würde vielleicht nur noch einmal vorkommen, wenn Danny im Europa League-Finale das entscheidende Tor in der 92. Minute schießt. Er ist eigentlich ein relativ introvertierter Typ, der sich früher eher zuhause eingeschlossen hat nach dem Training. Der wollte einfach nur Fußball spielen. Ich habe ihn dann als erfahrender, älterer Spieler etwas an die Hand genommen. Dann gab es diesen Rassismus-Vorfall bei 1860, wo ich mich sehr deutlich und schnell vor ihn gestellt hab. Und so ist unser Draht einfach gewachsen. Ich habe wirklich 0 Prozent oder 0,01 Prozent damit zu tun, wie er sich entwickelt hat fußballerisch. Aber wir haben eine besondere Ebene, er ist für mich mehr als nur ein Ex-Mitspieler. Und bei dem Spiel (Eintracht Frankfurt vs. Lazio Rom 4:1, Anm. d. Red.) – der hat zwei Buden gemacht. Der hat im Training in zwei Jahren keine zwei Buden gemacht und schießt dann in der Europa League zwei Tore.

Themen auf Seite 2: „Die f*cking Europa League“, Wahrscheinlichkeiten im Fußball, die positive Besessenheit des Manuel Baum und die Frage, wen die beiden ins DAZN-Expertenteam hinzuholen würden, wenn sie einen Wunsch frei hätten….

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