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Ultra schwierig: P(y)ro & Contra

Die Ultras der Liga sind Feuer und Flamme für ihre Teams und genau das nehmen sie manchmal etwas zu wörtlich. Illegale Pyros, hässliche Plakate, Ärger mit der Polizei. Auf der anderen Seite wenig Bock auf Entgegenkommen von Vereinen und Verbänden, auf der anderen Seite nimmt die Debatte kein Ende und scheint immer zerfahrener zu werden. Unsere Wunderkerze Thomas Poppe brennt nicht nur für FUMS, sondern hält auch eine Brandrede für ein Miteinander im Stadion.


2018 scheint auch im Fußball das Jahr zu sein, in dem die Mitte völlig verloren geht. Der VAR ist entweder der Retter der Gerechtigkeit oder der Todesstoß für den Sport, 50+1 ist das letzte Bollwerk gegen die finale Kommerzialisierung oder die einzige Chance auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und mit Pyrotechnik wird es bald hunderte Tote geben, ohne aber stirbt aber jede Stimmung. Dazwischen ein großer Meinungsspielraum fast ohne Nutzer. Debatten, die schon vor den ersten Argumenten keinen Sinn machen. Wer Kommentare zu den Vorfällen einiger Hertha-Idioten im Dortmunder Gästeblock liest, weiß schnell nicht mehr, ob es noch um Fußball oder schon um G20 geht.

Eines steht für mich fest: Illegale Feuerwerkskörper mit hohen dreistelligen Temperaturen, haben für mich nichts im Stadion verloren. Vor allem nicht in willkürlichen Händen. 12 Bier im Schacht? Erst mal Feuer gemacht. Nein! Aber für mich ist auch klar: Emotionen müssen erlaubt sein, Support fast jeder Art auf vernünftigem Wege unterstützt werden. Warum Vereine mit dreistelligen Millionenumsätzen kein Budget für „Atmosphäre“ haben, sondern den Fanclubs noch Steine in den Weg legen, ist für mich ebenso unverständlich wie die dauernden Fehltritte in der Kurve, die kein rechtsfreier Raum sein darf. Es wird geredet – immer mal. Naiv und stur. Ohne uns geht es nicht, deswegen machen wir, was wir wollen – glauben die einen. Ohne die ändert sich nichts, also dürfen sie nichts – glauben die anderen. Und beide liegen so unfassbar falsch.

Dass der DFB vom KSC eine Stellungnahme für den Pyro-Abschied vom Wildpark fordert, zeigt, wie wenig Fingerspitzengefühl auch hier vorhanden ist.

Wie es gehen kann, zeigt die Frankfurter Eintracht in den letzten Jahren immer wieder eindrucksvoll. Gigantische Choreos, die die Fans auf der Gerade einbinden, angemeldete Proteste, die Gehör finden – ganz ohne Gewalt und Fadenkreuze. Vom einstigen Randale-Meister zum Stimmungs-Spitzenreiter. Im Block muss endlich ein Verständnis für den Rest des Stadions entstehen. Die „Scheiß Tribüne“ als Antrieb. Nicht die Besseren sein, sondern die Dirigenten. Eine Motivation darin sehen, den Rest des Stadions mitzunehmen. Vereine müssen endlich merken, dass eine gigantische Stimmung der 12. Mann sein kann und Klatschpappen niemals einen Capo und 10.000 Hände ersetzen können, die den Takt für den Rest vorgeben.

Der Block muss aber auch einsehen, dass auch Papa, Mama und die zwei Kids ein Recht auf Stadion haben. Und der Japaner, der gerade auf Geschäftsreise im Land ist und der Sponsor, der die Stars auf dem Feld mit gigantischen Summen mitfinanziert. Und ganz ehrlich: Wer alles am modernen Fußball verabscheut, aber gleichzeitig Fan einer Aktiengesellschaft voller Multimillionäre anfeuert, muss sich grundsätzlich mal hinterfragen, ob er in der 1. Liga noch richtig ist. Dennoch wäre es so einfach: Warum keinen klaren Bereich und abgesprochenen Zeiten für das Abfeuern von Pyro aus geschulten Händen? Klare Regeln, die viel erlauben – aber auch hart bestrafen, wenn über das Ziel hinaus geschossen wird. Auch auf Polizeiseite. Bedingungsloses Verfolgen von Gewalt und Straftaten aller Art. Zuschüssen von Vereinen für Choreos, die in den Köpfen der Fans entstehen und nicht in der Vorstandsetage. Kein weißes T aus Menschen in Regenjacken auf der Gegengerade. In Dänemark wurde übrigens von Brøndby IF eine „Kalte Pyrotechnik“ entwickelt, die nicht gefährlicher ist als eine Zigarette. Es ginge längst: Geile gefahrlose Pyro-Show.

Vielleicht sollten „wir“ alle mal akzeptieren, dass der Fußball mehr ist, als der Sport einer einzigen Gruppe. Dass das Spiel deswegen so geil ist, weil es der dreijährige Knirps und der hundertjährige Opa verstehen und weil im Trikot der Hartz IV-Empfänger und der Bankvorstand maximal an den Schuhe zu unterscheiden sind. Dass man das als 90-Minuten-Event betrachten und sich am einmaligen Live-Betrachten von Superstars erfreuen oder im Spiel und seinem Verein 24/7 den einzigen Sinn und Mittelpunkt seines Lebens sehen kann.

Man kann Arjen Robben 90 Minuten hassen und auspfeifen, aber man kann eben auch ein „Arjen Robben, schenk mir deine lange Unterhose“-Plakat malen und Groupie sein. Ich hab Bock, mit meinem Sohn bald das erste Mal zu einem Bundesliga-Spiel zu gehen, ohne Angst zu haben, dass ihm was passiert oder er Angst bekommt. Ich habe aber auch Bock, dass dort geniale Stimmung herrscht, weil Ultras keine Steine in den Weg gelegt bekommen und auch keine werfen. Und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das beides möglich ist.


Von Thomas Poppe
(hätte noch mehr Zeit für FUMS, wenn er weniger Plakate für Arjen Robben malen würde, aber gut…Anm. d. Red.)