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Rona in Roma: Die Pandemie-Arroganz des Profifußballs

Lazio Rom soll angeblich Coronatests von Spielern fälschlicherweise als negativ deklariert haben. Die Folge: Es standen vermutlich Spieler auf dem Feld, die eigentlich in Quarantäne hätten sein müssen. Nun ermitteln Fußballverband und Staatsanwaltschaft gegen den italienischen Hauptstadtklub. FUMS-Tifoso Ole-Jonathan Gömmel sieht im Lazio-Fall eine erschreckende Entwicklung.


Wenn Ciro Immobile fit ist, steht er in der Startaufstellung von Lazio Rom. 129 Tore konnte er in 184 Spielen für seinen Verein erzielen – eine beeindruckende Quote, die ihm zum wohl wichtigsten Spieler im System von Trainer Simone Inzaghi macht. Am ersten November musste er nach über einem Jahr Serie A-Start-Elf auf der Bank Platz nehmen. Für den neutralen Betrachter eine überraschende Entscheidung, spielte Lazio doch gegen den direkten Tabellenkonkurrenten aus Turin. Ebenfalls im Kader, jedoch nicht auf dem Feld, standen die eigentlichen Stammkräfte Lucas Leiva und Thomas Strakosha. Im Laufe des Spiels wurden Leiva und Immobile eingewechselt – eine unverantwortliche Entscheidung des Vereins, wie sich nun vielleicht herausstellt. Denn vieles spricht dafür, dass sie zu diesem Zeitpunkt mit Covid-19 infiziert waren und Lazio dies wusste.

Der Lazio wird vorgeworfen, Coronatests manipuliert zu haben. Betrachtet man die letzten Wochen, kann man diese Anschuldigungen nachvollziehen: Am 28. Oktober wurden Strakosha, Leiva und Immobile im Vorfeld der Champions League-Partie gegen den Club Brügge positiv auf das Virus getestet. Vier Tage später seien sie laut Lazio-Verantwortlichen allerdings wieder virenfrei gewesen und erhielten so die Spielberechtigung gegen den FC Turin. Wieder drei Tage später, wiederholte sich das Spiel: Vor dem Champions League–Aufeinandertreffen mit Zenit St. Petersburg wurden die drei Akteure positiv getestet und aus dem Kader gestrichen, zu Hause sagten die Tests dann jedoch wieder das Gegenteil aus.

Auch wenn noch nicht bewiesen wurde, dass Lazio tatsächlich betrogen hat, zeigt das vermutliche Handeln der Römer ein Problem auf, mit dem sich aktuell viele Vereine konfrontiert sehen: Die Angst, dass Covid-19-Fälle in den eigenen Reihen, einen erheblichen Einfluss auf den Saisonverlauf einer Mannschaft haben können. Egal ob durch Nachholspiele unangenehme Doppelbelastungen in Folgewochen entstehen oder ein Nachteil durch die Dezimierung des Kaders – unter dem Willen von Vereinen und Verbänden, den Spielbetrieb unbedingt aufrecht zu erhalten, leidet der faire Wettbewerb.


„Wenn Spieler im Zuge der UEFA-Wettbewerbe positiv getestet werden und sich das später als falsch herausstellt, ist das natürlich super ärgerlich für die Vereine – ich glaube, das kann jeder verstehen. Daraufhin aber eine Art Selbstjustiz zu beginnen und sich so testen zu lassen, wie es einem gerade passt, finde ich sehr bedenklich. Lazio und Präsident Lotito zeigen, dass sich der Fußball manchmal sehr wohl zu wichtig nimmt. Mal sehen, ob man an ihnen ein Exempel statuiert. Verdient hätten sie es.“

SERIEAMORE-Host & DAZN-Kommentator Mario Rieker

Im Milliardengeschäft Fußball war es nur eine Frage der Zeit, bis der erste Verein sich auf Grund des großen Drucks nicht mehr an die Regeln hält. Durch fehlende Ticketverkäufe und sinkende Fernsehgelder, ist der sportliche Erfolg für Fußballvereine in diesem Jahr besonders wichtig – dass dieser allerdings nur mit gesunden Spielern zu erreichen ist, scheinen viele Vereinsoffizielle vergessen zu haben. Betrachtet man die Statements der großen Entscheider im Fußball, also der Watzkes, Rumenigges und Co., geht es eigentlich ausschließlich um finanzielle Gefahren für den Verein. Die Gesundheit der Spieler scheint mittlerweile als gegebene Voraussetzung festgelegt zu sein, der Respekt vor dem Virus, auf Grund der geringen Anzahl schwerer Verläufe bei Profifußballspielern, komplett verflogen. Die Tests wirken wie ein lästiges aber unwichtiges Anhängsel des Profifußballs ­– dass Amateure komplett auf ihren Sport verzichten müssen und Testkapazitäten in Krankenhäusern an ihre Grenzen geraten, scheint gekonnt ignoriert zu werden.

Diese Einstellung ist gefährlich und sorgt dafür, dass der Sport sein Vertrauen in der Gesellschaft verspielen könnte. Kein finanzielles Interesse rechtfertigt es, Menschen einem so hohen, gesundheitlichen Risiko auszusetzen – auf dem absolut nicht-systemrelevanten Gebiet des Fußballs schon gar nicht. Eigeninteressen, meist finanzieller Natur, schieben sich momentan wie ein schwarzer Vorhang vor die Bühne, auf der in einer Utopie eigentlich Solidarität, Rücksicht und ein Gemeinschaftsgedanke stehen sollten.


Ein Blick auf die jüngste Entwicklungen, wie zum Beispiel die fortgeschrittene Planung einer europäischen Superliga aus finanzstarken Top-Klubs, zeigt, dass diese Utopie wohl für immer in den Gedanken eines verblendeten FUMS-Redakteurs stecken bleiben wird. Es scheint undenkbar, dass sich Vereinsverantwortliche aller Klubs in Zukunft auf einen Konsens einigen könnten, der sowohl die finanzielle, als auch die gesundheitliche Zukunft von Mannschaften sichert und den Druck somit etwas sinken ließe – dystopisch.

In Italien ermitteln nun übrigens sowohl Fußballverband als auch Staatsanwaltschaft gegen die Lazio. Neben Haftstrafen wegen „fahrlässiger Verursachung einer Epidemie“ könnte im schlimmsten Fall ein Zwangsabstieg folgen – der gehört bei italienischen Top-Klubs ja allerdings schon fast zum guten Ton in der Vereinshistorie.


Von Ole-Jonathan Gömmel
Kann sich im Restaurant oft nicht zwischen Pasta und Pizza entscheiden (Anm. d. Red.)