Keeperkolumne: „Torwartkrise beim DFB“ ist konstruierter Blödsinn
Länderspielpause? Unser Torwart-Experte Timo Hildebrand (u.a. VfB, Valencia, Schalke, Hoffenheim, Frankfurt) zieht hier trotzdem voll durch. Dritte Ausgabe von ZUGENAGELT, der neuen FUMS Keeperkolumne. Thema diesmal: Deutschland, deine Torhüter. Wer folgt eigentlich auf Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen? Erste Experten schlagen Alarm und beklagen einen Mangel an Weltklasse-Schlussleuten, doch Hildebrand spielt dieses Spiel nicht mit.
Ist die Länderspielwoche so etwas wie das Sommerloch für Sportjournalisten oder wie kann es sein, dass ich neulich tatsächlich etwas von einer – Zitat: „Torwartkrise beim DFB“ – lesen musste? Also da fasse ich mir wirklich an den Kopf. Deutschland hat über Jahre, sogar über Jahrzehnte hinweg eine absolute Luxussituation auf der Position der Nummer 1 vorgefunden: Von Toni Schumacher, Bodo Illgner, über Andi Köpke, Oliver Kahn, Jens Lehmann, einem gewissen Timo Hildebrand 😋 bis hin zur noch spielenden Garde um Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen stand in unserer Nationalmannschaft wirklich immer absolute Weltklasse zwischen den Pfosten.
Und obwohl Neuer und ter Stegen noch ein bisschen Strecke vor sich haben, obwohl da Champions League-geprüfte, exzellente Top-Männer wie Trapp, Leno oder Karius in der zweiten Reihe stehen, werden durchaus selbstkritische Worte unseres Bundestorwarttrainers Andi Köpke direkt auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt und eine Torwartkrise herbei konstruiert. „Man muss ehrlich sein: Da gibt es bei uns im Moment eine kleine Delle“, hatte Köpke gegenüber der FAZ gesagt. Ganz ehrlich, eine kleine Delle gibt es beim DFB sicherlich, die hat aber sehr wenig mit Torhütern zu tun. Ich weiß nicht, wo Köpke ein Problem sieht oder ob das ein Ablenkungsmanöver sein soll. Baustellen gibt es beim DFB aktuell jedenfalls genug, das ist sicher.
Wir haben kein Nachwuchsproblem, aber…
Wo ich absolut mitgehe: Weltklasse über Jahre hinweg aufrecht zu erhalten, ist unglaublich schwer – und mit Manuel Neuer werden wir derzeit alle verwöhnt, aber jetzt Alarm zu schlagen, halte ich für verfrüht. Deutschland hat schon immer viele gute Torhüter gehabt in der Breite. In der aktuellen Saison 2018/2019 vertrauen elf der 18 Bundesligsten auf eine deutsche Nummer 1. Mit Florian Müller (20) haben wir in Mainz ein junges Talent im Tor, dazu gibt es mit Markus Schubert (20, Dresden), Constantin Frommann (20, Freiburg), Patrick Schott (16, Stuttgart) und Philipp Schulze (15, Wolfsburg) wirklich hoffnungsvolle Talente, um nur einige zu nennen. Mit Lennart Grill (19) steht ein Junge beim 1. FC Kaiserslautern im Tor, der noch vor seinem 20. Geburtstag den Sprung in die Profiliga packen kann. Der 2001er-Jahrgang ist ohnehin bockstark, aber das werdet ihr dann alle schon bald selbst merken, ganz sicher.
Ein echtes Problem hingegen ist, dass jungen Talenten zunehmend die Plattformen fehlen, sich präsentieren zu können. RB Leipzig meldet die zweite Mannschaft ab, Frankfurt hat keine mehr, Bayer Leverkusen hat keine mehr. Wo soll der Nachwuchs Spielpraxis sammeln? Mit Alex Nübel (21, Schalke) und Moritz Nicolas (20, Gladbach) sitzen Toptalente bei den Bundesligisten auf der Bank hinter den Stammtorhütern. Eine Leihe ist oft keine Option, weil die Klubs sie gern selbst behalten wollen. Ich finde, das ist der falsche Weg, hier muss dringend etwas passieren. Dann ist der nächste Manuel Neuer auch nicht mehr so unrealistisch.
Foto: spooney.de
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