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Weniger ist mehr: Warum die Fußball-Flut nervt

Eine Weltmeisterschaft zur Weihnachtsmarktzeit, eine „Europa League 2“, die teilweise um 16:30 Uhr angepfiffen werden soll – und ein BILD-Chefkolumnist Alfred Draxler, der sich als Fan 2. Klasse fühlt, weil die Montagsspiele wegprotestiert wurden, die er doch eigentlich so toll findet. Wo soll das alles noch hinführen? Das fragt sich auch unser Couch-Ultra Thomas Poppe und zeigt vor allem Draxler den erhobenen Zeigefinger.


Mensch Alfred, du armer Kerl. Die Ultras haben gesprochen und wollen lieber am Wochenende zu Auswärtsspielen fahren, als am Montag. Und weil du Montagabend nichts zu tun hast, bist du jetzt beleidigt. Da kann ich nur sagen: „Fahr erstmal auswärts, Digga!“ Natürlich ist man kein Fan zweiter Klasse, weil man die Couch dem Fanblock vorzieht – aber wer laut wird, hat eben auch eine größere Chance, gehört zu werden. Die Fans von 36 Vereinen mit jeweils tausenden Fans sind sich einig: Der Montag muss weg! Komm von deinem hohen Ross runter und sieh ein, dass du dir deine Stimme in der Kurve verdienst und nicht auf dem Sofa.

Ich bin ehrlich: Als Kind wäre ich froh gewesen über einen Donnerstag-Anpfiff um halb 5. Stattdessen musste ich mit meinen acht Jahren bei mittelmäßigem Radio-Empfang am Kassetten-Rekorder mit anhören, wie der 1. FC Nürnberg den 2:1-Sieg aus dem Hinspiel in Rom noch verspielte oder sich Bayern im Viertelfinale gegen Heart of Midlothian durchsetze. Wenn das Tor wichtig war, schlich ich schnell zum Wohnzimmer der Eltern und schaute die Zeitlupe an. Der Samstag war Radio- und Sportschau-Tag. Es gab Spieltage, da schaute ich 90 Minuten auf den Videotext. Und die, an denen die größte Sorge war, dass man es ohne Spoiler zum Sportstudio schafft, wenn man am Nachmittag keine Zeit hatte.

Früher war nicht alles besser – und genau deshalb so schön

Fußball war etwas Besonderes, dass man nicht an jeder Kaffeekanne streamen konnte. Man betete, dass das Premiere-Topspiel den eigenen Verein zeigt und im Pokal hoffte man auf ein Spiel gegen die Bayern, um im TV zu laufen… ok, manche Dinge ändern sich nie. Heute ist Fußball überall und immer. Man traut sich ja kaum noch, den Klodeckel zu öffnen, aus Angst, einen Stream von Anschi Machatschkala gegen Ural Jekaterinburg sehen zu müssen. Ich bin kein verträumter Nostalgiker, aber ich glaube, dass der Fußball unter der Verfügbarkeit leidet und für die nächste Generation zu einem Selbstverständnis wird, dass man nebenbei laufen lässt, anstatt wie ein kleines Kind darauf hinzufiebern.

Ich liebe es, am Sonntagabend 30 Spiele in kompakten Berichten aus allen Topligen zu schauen und Live-Übertragungen sind toll. Aber ich erwische ich mich immer häufiger, wie es mich immer weniger interessiert. Wie ich nur noch meinen Verein verfolge mir egal ist, wenn ich den Rest verpasse, weil ja morgen schon wieder was ist. Wie Freunde, Familie und andere Hobbies wichtiger werden. Wie ich lieber unterklassige Spiele oder andere Sportarten im Stadion schaue, weil man eben nicht nebenbei noch zwanzig andere Dinge macht, sondern fokussiert ist.

Verfügbar ja – aber nicht immer und überall

Weniger wäre mehr. Und der Fan im Stadion, der im schlimmsten Fall viel Zeit, Geld und Urlaub opfert, um am Arsch der Welt eine Niederlage seiner Jungs zu sehen, muss immer die höchste Hürde sein. Fußball wird aber immer mehr zum sportlichen Netflix. Immer verfügbar, bei Langeweile tausend andere Alternativen parat und morgen schon wieder vergessen, weil die nächste Episode von etwas ganz anderem läuft. Die besten Serien sind aber nicht die, die man in einem Monat durchballert – es sind die, die zehn neue Folgen im Jahr haben und auf die man wie ein kleines Kind wartet. Verfügbar ja. Aber nicht immer und überall und nicht auf Kosten der Fans.

Ich hab‘ keinen Bock, dass ich meinen Kindern mal eine Entschuldigung für die Schule schreiben muss, weil sie sich gerne das Eintracht-Spiel in der Europa League 2 anschauen wollen, aber die Anstoßzeiten mit dem Mathe-Unterricht kollidieren. Und wirklich illusorisch ist das längst nicht mehr. Vielleicht schafft es Alfred Draxler ja auch, am Sonntagabend das Topspiel der 2. Liga zu schauen – den Tatort, den er da so gerne schaut, gibt’s nämlich am nächsten Tag noch in der Mediathek.


Von Thomas Poppe
(leider nicht immer und überall für uns verfügbar, aber wäre sonst vermutlich auch langweilig dann, Anm. d. Red.)