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EURO2020: Wahnsinnig schön und ganz schön wahnsinnig!

Die EURO2020 ist Geschichte und hat mit Italien einen Europameister, mit dem jenseits von England wohl fast jeder ziemlich gut leben kann. Während die sportlichen Fragen mit einem verdienten Sieger beantwortet wurden, bleiben am Ende doch viele Fragezeichen hinter der Art, wie dieses Turnier stattfinden durfte und wie mit einzelnen Dingen umgegangen wurde. Ein Rückblick von FUMS-Allesgucker Thomas Poppe.


Könnte man ein Turnier am Kiosk bestellen, wäre die EURO2020 „Einmal gemischte Gefühle, aber bitte die große Tüte.“ Selten war bei einem Turnier mehr Wut, Unverständnis, aber eben auch mehr Freunde und Glücksmomente. Am Ende bleibt das Gefühl, dass so vieles falsch war und dass es dieser verdammte Fußball mit seinen Akteuren dennoch immer wieder schafft, Herzen zu erobern.

Machen wir den Part mit der UEFA kurz: Regenbogen waren nur da ok, wo sie keine Werbepartner und Staatsmänner verärgern, seltsame Vergabe der Spielorte, Druck auf Ausrichter bei Zuschauerzahlen, Pseudokampagne gegen Rassismus und beim Drama um Christian Eriksen weniger Fingerspitzengefühl als ein Regenwurm. Die WM in Katar wird der ultimative Test, was wir uns von UEFA und FIFA gefallen lassen wollen, weil wir so Bock auf Fußball haben. Am Ende entstand aus dem vielen Bullshit auch immer wieder schönes. Die Dänen holten sich nach zwei Niederlagen noch Platz 2 in der Gruppe, eroberten im Halbfinale fast Wembley und unzählige Herzen. Die ekelhaften Beleidigungen gegen das weinende Mädchen mündeten in einer Spendenaktion, die UNICEF 40.000 Euro brachte. Aus dem Verbot der Regebogen-Arena in München wurde eine gigantische Solidaritätsbekundung.

Fußball war bei der EURO2020 ja auch noch. Und der war immer wieder packend. Acht Mal Verlängerung in 17 KO-Spielen. Österreich lässt Italien wanken. Die Fightgenossen werfen Frankreich raus und liefern Spanien einen wahnsinnigen Kampf. Schick trifft von der Mittellinie, die unvollendete goldene Generation der Belgier spielt wieder überragend und bleibt wieder ohne Finale. England glaubt so fest an das Ende der 55 years of hurt und verliert auf die englischste Art und mit dem tragischen Helden von 1996 an der Seite, der die tragischen Helden von 2021 erst in der 118. Minute einwechselt. Zuschauer zurück im Stadion. Immer wieder eine Mischung aus guter und schlechter Gänsehaut, weil Fußball ein anderes Spiel ist, wenn man hinter dem Ball, der knapp vorbei fliegt, noch 2.000 Gesichter beobachten kann. Es war der nicht nötige Beweis, wie sehr die Fans fehlen und dass es dennoch noch nicht der richtige Zeitpunkt war und ist.

Dann war da auch noch Italien. Eine Mannschaft, so zusammengeschweißt wie eine Packung Gummibärchen nach einem Tag bei 60 Grad im Auto. Wer kann nicht komplett verliebt sein in die Geschichte um Italien Co-Trainer Gianluca Vialli, dem einstigen Sturmpartner und Freund von Roberto Mancini, der nach 17 Monaten Chemo den Krebs besiegte und ein wichtiger Motivator und Berater wurde? Der EM-Titel ist auch die Belohnung für einen radikalen Umbruch nach der verpassten WM 2018 und dem gleichzeitige Festhalten an Persönlichkeiten wie Bonucci und Chiellini. In Italien wurde nach 2018 jeder Halm umgedreht, in Deutschland lies man Gras über die Sache wachsen. Ein Lehrstück, wie man es beim DFB hätte machen können und müssen. Ich will nicht nachtreten gegen Jogi Löw. Aber am Ende sind Leonardo Bonucci (34) und Giorgio Chiellini (36) dann auch der lebende Beweis, dass die altersbedingte Ausbootung von Mats Hummels (damals 29) und Jérôme Boateng (damals 29) nicht so smart war.

Am Ende bleibt bei der EURO2020 auch der fade Beigeschmack des Rassismus gegen drei Jungs, die einfach nur Pech bei einer fiesen Fußball-Lotterie hatten. Nicht, weil sie ihre Elfmeter verschossen und keine weiße Hautfarbe haben. Ein trauriger Beweis, dass das „auf die Knie gehen“ noch lange wichtig bleiben wird – nicht nur auf dem Platz, nicht nur symbolisch. Es bleiben Infektionszahlen aus dem Stadion, die es so nie hätte geben dürfen. Es bleiben Buhrufe bei Hymnen, Rassismus und Homophobie aus den Fanblöcken, schlechte Verlierer, gleichgültige Entscheider und immer wieder Doppelmoral. Diese EM fühlt sich an, als hätte man eine ziemlich geile Party gefeiert – aber dabei die Rente von Oma versoffen. Vieles hat Spaß gemacht, am Ende bleibt aber doch ganz viel falsch. Diese EM war wahnsinnig schön. Aber vor allem auch ganz schön wahnsinnig.


Von Thomas Poppe
(Hat niemals die Rente der Oma versoffen, Anm. d. Red.)

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