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Holstein Kiel und die Moral von der Geschicht‘

Holstein Kiel wird am Wochenende 2.350 Fans im Stadion empfangen. Unsere Autorin Eva-Lotta Bohle mit einem „was bisher geschah“ zu Sonderrollen und leeren Versprechungen.


„Weder sollte der Profifußball für sich eine Sonderrolle in der Gesellschaft reklamieren. Denn auch in anderen Veranstaltungsbranchen sind derzeit keine Zuschauer zugelassen. Noch möchte die KSV Holstein Kiel eine Bevorzugung gegenüber anderen Sportvereinen im Land erfahren. Denn auch in anderen Ligen und Sportarten kämpfen, sofern möglich, Sportler*innen um Auf- und gegen Abstiege.“

So argumentierte Holstein Kiels Präsident Steffen Schneekloth vor knapp anderthalb Wochen gegen das Zulassen von Zuschauer*innen im letzten Heimspiel der regulären Saison gegen Darmstadt 98. Für diese Argumentation bekam der Club aus Schleswig-Holstein deutschlandweit Zuspruch, gerade weil einige andere Clubs diese Art von vereins- und sportübergreifender Fairness nicht als so relevant gesehen haben. So weit, so gut. Holstein Kiel verlor das Spiel gegen Darmstadt knapp und musste damit den Weg in die Relegation gegen den FC aus Köln antreten.

Im Laufe des Donnerstags wurde dann allerdings bekannt, dass das Rückspiel im Kieler Holsteinstadion vor 2.350 Fans ausgetragen wird. Auch hierzu hat sich Schneekloth geäußert, Spoiler: Lange nicht mehr so souverän wie das Statement zuvor. Man sei grundsätzlich immer noch der Meinung, dass der Profifußball keine Sonderrolle bei diesem Thema beanspruchen sollte, man habe sich aber nach dem Spiel gegen Darmstadt mit Stadt und Behörden ausgetauscht und im Hinblick auf die Lage rund um das Stadion die Haltung und den Ansatz überdenken müssen.

Fassen wir zusammen: Der Verein will verhindern, dass die Fanansammlungen vor dem Stadion entstehen, und holt die Fans deshalb ins Stadion. Das mag für 90 Minuten ein gutes Konzept sein, weil man dort die Streuung der Zuschauer*innen tatsächlich besser beobachten und kontrollieren kann, aber beispielsweise die Bilder von der Alten Försterei am Wochenende zeigen, dass nach Abpfiff alle Konzepte und Modellversuche der Welt ihren Sinn verlieren.

Ich könnte hier jetzt zu zwei Themen eine Diskussion starten. Zunächst darüber, wie sinnvoll es grundsätzlich ist, auf den letzten Metern einer Saison Fans zuzulassen und damit unter anderem auch den sportlichen Wettbewerb zu beeinflussen. Aber das ist müßig. Stattdessen will ich kurz festhalten, was mich an dieser ganzen Kommunikation so sehr stört: Zunächst geht man anscheinend davon aus, dass nur diese 2.350 dann auch zum Stadion kommen werden und andere Fanansammlungen gar nicht erst entstehen, was ich ehrlich gesagt für naiv und realitätsfern halte. Als Zweites folgt dann auch das Zurückrudern von der Haltung der Vorwoche. Haltung ist keine Haarfarbe, die du wechseln kannst, wenn sie dir an dir selbst nicht mehr gefällt. So funktioniert das nicht. Das Beharren darauf, dass man weiterhin keine Sonderrolle einnehmen will, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

FCKVAR

Der Fußball nimmt effektiv seit etwas mehr als einem Jahr eine Sonderrolle im Sport ein, der Männerfußball der ersten drei Ligen sogar gegenüber unterklassigen Ligen und dem Frauenfußball im Allgemeinen nochmal verstärkt. Daher ist es etwas absurd, zu diesem Zeitpunkt eine Sonderrolle zu leugnen. Dass man jetzt als Konsequenz von Verstößen gegen Versammlungsgesetzen und Nicht-Einhalten von Abstandsregeln doch Fans zulässt, lässt das ganze Haltungskonstrukt zusammenbrechen. Und zuletzt: Der Verein nimmt an, dass man Emotionen regulieren und kontrollieren kann, trotz etlicher Gegenbeispiele. Und ganz ehrlich, natürlich kann ich die Menschen verstehen, die den ersten Bundesligaaufstieg der Vereinsgeschichte oder den Einzug in den internationalen Wettbewerb im Stadion feiern wollen. Auch ein Jahr Pandemie hat nichts daran verändert, dass der Fußball durch seine Fans lebt. Aber momentan ist das Risiko einfach immer noch zu groß, dass bei den anschließenden Feierlichkeiten Infektionsketten entstehen. Weil Emotionen eben nicht immer Gesetzen und Regelungen folgen.

Um das hier abzuschließen: Die Moralkeule kann ziemlich schnell zurückschwingen, also lieber noch mal überprüfen, wie weit man ausholen will.


Von Eva-Lotta Bohle