Luciano Spalletti, Italien, Trainer der italienischen Nationalmannschaft.
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Vor England-Spiel: Italiens EM- und Wettskandalsorgen

Während der wohl größte Wettskandal der letzten 15 Jahre das Land erschüttert, versucht sich die italienische Nationalmannschaft auf die äußerst schwierige Aufgabe in England vorzubereiten. Das Unterfangen „EURO 2024“ steht und fällt dabei mit dem letzten Quali-Spiel.

Die italienische Nationalmannschaft steht in der EM-Qualifikation vor der wohl schwierigsten Aufgabe in der Gruppe: Sie müssen auswärts in England ran. Die Tabellensituation ist dabei alles andere als entspannt: Die Ukraine steht in Lauerstellung auf Platz zwei hinter Italien, bei einer Niederlage auf der Insel sind die beiden Teams punktgleich.

Als würde diese Situation nicht eigentlich schon die gesamte Aufmerksamkeit aller Spieler und Funktionäre erfordern, bahnt sich im Land ein neuer Wettskandal an. Gegen Nicolò Fagioli (Juventus Turin), Sandro Tonali (Newcastle United) und Nicolò Zaniolo (Aston Villa) laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Sportwetten-Betrug. Alle drei sollen bei illegalen, staatlich nicht zugelassenen Wett- und Glücksspielanbietern gezockt haben.

Italiens Sorgen mit den eigenen Spielern

Bitter für die Squadra Azzurra: Mit Tonali und Zaniolo sind auch zwei Nationalspieler betroffen. Sie wurden am 12. Oktober, also während sie beim Nationalteam waren, verhört. Vor dem ersten Spiel in der aktuellen Länderspielpause gegen Malta (4:0) wurden beide Spieler nach Hause geschickt.

„Leider gab es keine andere Lösung, als Sandro Tonali und Nicolò Zaniolo die Rückkehr zu ihren Angehörigen, ihrem Zuhause und ihrem Verein zu ermöglichen. In dieser Zeit ist die Familie das beste Umfeld. Ich hoffe, dass sie alles aufklären können, dass sie beweisen können, dass sie nicht involviert waren und zu uns zurückkommen“, begründete Italien-Trainer Luciano Spalletti die Entscheidung.

Berichte deuten allerdings nicht darauf hin, dass sie unbeteiligt sind. Fagioli gab beispielsweise an, auch auf Spiele im Fußball gewettet zu haben. Insgesamt mehr als eine Millionen Euro soll er verspielt haben. Und er habe angegeben, dass Sandro Tonali ihm den Link zur illegalen App geschickt haben soll.

Italienische Medien schreiben, dass Tonali selbst sei zu einem Geständnis bereit sei und auch eine Spielsucht eingestehe, die er in einer Therapie aufarbeiten will. Über Anwälte ließ er wissen, dass er „am Boden zerstört“ sei. Zaniolo hingegen bestreitet die Vorwürfe: Er habe nur Kartenspiele online gespielt.

In den nächsten Tagen sollen weitere Anhörungen folgen. Den Spielern könnte dabei sportlich eine empfindliche Strafe drohen: Italiens Fußballverband verbietet es ihren Spielern, auf Spiele zu wetten, die in Italien, von der UEFA und von der FIFA organsiert werden. Sollte sich bestätigen, dass auch Wetten auf ebensolche Fußballspiele platziert wurden, drohen jeweils mindestens drei Jahre Sperre. Allerdings deutet momentan nichts drauf hin, dass Spiele mit Beteiligung der drei Akteure manipuliert wurden. Das würde ein deutlich höheres Strafmaß nach sich ziehen. Durch Kooperation dagegen kann das Mindeststrafmaß von drei Jahren verringert, sogar halbiert werden.

„Ja, es war traumatisch für das Team“

Sportlich ist das für die italienische Nationalmannschaft auch ein Schlag ins Gesicht. Mit Tonali und Zaniolo werden nun zwei Spieler, die auch als Zukunft des Calcio gelten, erstmal nicht zur Verfügung stehen. Eine Sperre würde mindestens mal ein Verpassen der EURO 2024 heißen – wenn diese überhaupt erreicht wird.

Das restliche Team muss den Schock nun verdauen, gab sich auf Malta zwar keine Blöße, hat mit dem EM-Finalgegner von 2021 jetzt aber den größtmöglichen Brocken vor der Brust. „Ja, es war traumatisch für das Team. Wir fanden uns praktisch mit den Behörden in der Umkleidekabine wieder. Wir waren ein wenig verärgert, überrascht. Aber wir hatten einen ganzen Tag, nachdem wir uns von ihnen verabschiedet hatten, und viele von uns gingen hin, um sie zu umarmen, bevor sie zu ihren Vereinen, zu ihren Zuhause zurückkehrten“, sagte Spalletti in der Pressekonferenz vor dem Spiel im Wembley.

„Die betroffenen Jungs waren am Boden zerstört. Wenn eine Gruppe zusammenbleibt und die Spiele als Nationalmannschaft erlebt, entstehen immer wichtige Beziehungen. Ich denke, das ist ein Problem, das unter jungen Leuten passieren kann. Wir haben uns verpflichtet, sie zu unterstützen, und werden das auch weiterhin tun“, so der Napoli-Meistertrainer weiter, der seit September das Nationalteam betreut.

Er hat nun die Mammutaufgabe vor sich, sein Team auf die von Gareth Southgate trainierten Three Lions vorzubereiten: „Wir haben alles getan, um wichtige Antworten zu bekommen. Das Wichtigste ist, dass wir freien Fußball spielen, Fußball, der von Flüssigkeit und Persönlichkeit geprägt ist, moderner Fußball, so wie er jetzt gemacht werden sollte.“

Wembley, England gegen Italien? Da werden relativ frische Erinnerungen an das Finale der EURO 2021 wach, das die Südeuropäer in London gewannen und sich so zu den Champions des Kontinents krönten. Spalletti: „Es wäre unfair, Vergleiche anzustellen, jenes Finale wird einzigartig bleiben. Aber wir möchten uns von dem inspirieren lassen, was in jenem Spiel passiert ist, und vielleicht das zu unserer Identität machen. Wir wollen der Realität ins Auge sehen. Die Realität wird uns sagen, auf welchem Level wir uns derzeit befinden.“

Wird Nordmazedonien erneut Italiens Kryptonit?

Die sportliche Realität nach besagtem EM-Finale war aber eher ernüchternd als rosig: Zwar konnte man die Nations-League-Gruppe für sich entscheiden, als amtierender Europameister versäumte man es aber, sich für die WM 2022 in Katar zu qualifizieren. In der Quali-Gruppe wurde man nur Zweiter hinter der Schweiz, im Playoff-Halbfinale scheiterte man durch ein Gegentor in der 92. Minute an Nordmazedonien.

Sie könnten erneut das Zünglein an der italienischen Waage werden. Wie es das Schicksal es wollte, trafen sich beide nun in der EM-Quali-Gruppe wieder. Das Hinspiel in Skopje – Spallettis Debüt als Nationalcoach – endete nur 1:1. Sollte Italien in England verlieren wären im November drei Punkte gegen Nordmazedonien nicht schlecht, um sich dann noch die größtmöglichen Chancen auf Platz zwei in der Gruppe vor der Ukraine und damit die direkte Qualifikation zu wahren.

Zum endgültigen Showdown kommt es dann am 20.11. in der Leverkusener Bay-Arena, wo die Ukraine die Squadra Azzurra empfängt. Die Osteuropäer haben momentan ein Spiel mehr (sechs Spiele, zehn Punkte) auf der Uhr als Italien (fünf Spiele, zehn Punkte), müssen deshalb vorher nur noch gegen den Tabellenletzten Malta ran.

Aber selbst ein Sieg in England und ein Sieg gegen Nordmazedonien würde die Italiener nicht aller Sorgen entledigen: Sie würden dann zwar mit drei Punkten Vorsprung ins Duell mit der Ukraine gehen, allerdings würde eine 0:2-Niederlage reichen, um den direkten Vergleich und damit Platz zwei in der Gruppe zu verlieren. Dann wäre die einzige Möglichkeit, sich für die EM zu qualifizieren, der Weg über die Playoffs.

Das Spiel gegen die Ukraine entscheidet alles

Dort werden die drei letzten Plätze für die Endrunde ausgespielt. Es gibt drei Playoff-Pfade: A, B und C. In A spielen die vier Gruppensieger der Liga A, in B die vier Sieger der Liga B und in C die vier Sieger der Liga C. In jeweils einem Halbfinale und einem Finale wird aus jedem Pfad dann ein Qualifikant auserkoren.

Durch ihren Sieg in der Nations-League-Gruppe-A3 gegen Deutschland, Ungarn und – ja – England, würden sie im Playoff-Pfad A landen, in der vier Mannschaften aus den anderen A-Ligen sind. Stand jetzt wären die Gegner Kroatien, Ungarn und Polen. Knifflige Aufgaben. Aber auch machbar und vermeidbare, wenn man im letzten Spiel die Ukraine schlägt.

Denn in jedem Fall würde ein Sieg gegen die Ukraine für die direkte EM-Quali reichen, auch wenn man gegen England und Nordmazedonien verlieren sollte und sich letztere in Dreiervergleich mogeln (Szenario: Alle nach acht Spielen mit 13 Punkten). Also: Alles noch möglich für die Azzurri. Während man die letzten beiden Weltmeisterschaften 2018 und 2022 verpasste, war man seit 1996 bei jeder EM-Endrunde dabei. Übrigens: Nachdem sie 1968 zum ersten Mal Europameister wurden, waren sie in den beiden Turnieren danach jeweils nicht vertreten. In Deutschland möchten sie tunlichst dabei sein – mit oder ohne Tonali und Zaniolo.


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